Saint-Saëns, Camille

Trio Nr. 2 e-Moll für Klavier, Violine und Violoncello op. 92

hg. von Edward Blakeman

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Peters, Frankfurt am Main 2013
erschienen in: das Orchester 10/2013 , Seite 69

Offensichtlich gibt es in der Musik – ebenso wie in der Literatur – auch im anscheinend Wohlbekannten immer wieder etwas neu oder wiederzuentdecken, sogar bei einem Komponisten, der alles andere als ein unbeschriebenes Blatt ist. Der Franzose Camille Saint-Saëns gehört eher zur Kategorie der Vielschreiber, und es haftet ihm und seiner Musik ein wenig das Stigma einer gewissen Glätte und Oberflächlichkeit an, gelegentlich wohl nicht ganz zu Unrecht. Wie gesagt gelegentlich, denn es gibt durchaus auch viel Meisterhaftes aus seiner Feder, das sich weit über den Bereich wirkungsvoller virtuoser Salon- und Gebrauchsmusik hinaus erhebt. Seine beiden Klaviertrios sind nicht gerade populäre Dauerbrenner in den Konzertprogrammen, insbesondere das zweite in e-Moll op. 92 fristet bis heute ein Mauerblümchen-Dasein. Saint-Saëns, der ansonsten dafür bekannt war, seine Kompositionen mit ungeheurer Leichtigkeit quasi aus dem Ärmel zu schütteln, tat sich mit diesem Trio, dessen Fertigstellung ihn über viele Jahre hinweg beschäftigte und das er mehrfach umarbeitete, sehr schwer. Im Oktober 1892 hatte er es in seiner finalen Form endlich zu Papier gebracht, die Uraufführung erfolgte im Dezember desselben Jahres, mit mäßigem Erfolg. Die – heute verblasste – Popularität des 1. Trios in F-Dur hat es nie erreicht. Dabei ist es in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Werk. Bereits die fünfsätzige Form fällt aus dem Rahmen. Auf den pathetisch-ausladenden Kopfsatz folgt ein 5/8-Allegretto, in Rhythmus und Diktion zweifellos entlehnt dem baskischen Zortzico. Ein Fünferpuls durchzieht diesen ganzen Satz, denn auch das Trio steht im 5/4-Takt. Eher knapp angedeutet denn formal ausgeführt erscheint das folgende Andante con moto mit seinen Salonanklängen, der einzige „langsame“ Satz. Danach schiebt Saint-Saëns noch einen elegant-charmanten Walzer in ungewöhnlichem 3/8-Takt ein, bevor er das Trio mit einem eigenartig zerklüfteten Finale beschließt.
Dem Klavier räumt der Komponist insbesondere in den Ecksätzen unbestrittene Dominanz ein, die gerade im 1. Satz öfters Dimensionen eines hochvirtuosen Klavierkonzerts erreicht, ohne dass jedoch die Balance zwischen den Instrumenten wirklich unausgeglichen erschiene (Ähnliches kennt man von Mendelssohn). Virtuose Herausforderungen gibt es zwischendurch auch für die beiden Streicher zu bewältigen. Von der harmonischen Struktur her erscheint das e-Moll-Trio romantischer als viele andere eher klassizistisch geprägte Kompositionen von Saint-Saëns. Manche Wendung klingt hier mehr nach Franck oder Fauré, als man es sonst gewöhnt ist. Insgesamt offenbart das Werk – neben zugegebenermaßen ein paar Längen – viele Schönheiten, die es durchaus attraktiv für Spieler und Zuhörer machen.
Die vorliegende Neuausgabe ist umsichtig gestaltet und unternimmt den insgesamt sehr gelungenen Versuch, durch sorgsames Abgleichen der verschiedenen Quellen – das Autograf gilt als verschollen – den Intentionen des Komponisten so nahe als möglich zu kommen. Lobend zu erwähnen ist der detaillierte Revisionsbericht.
Herwig Zack