Nisle, Johann Friedrich

Trio

Es-Dur op. 14 für Viola, Violoncello und Klavier, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Dohr, Köln 2014
erschienen in: das Orchester 10/2014 , Seite 69

Es gibt sie noch: die „weißen Flecken“ auf der Landkarte. Und es gibt Enthusiasten, die bei der Erschließung unerforschter Regionen wertvolle Hilfestellung leisten. Worum geht es?
Der Heinsberger Pianist Franz Josef Lütter (1949–2003) hat im Rahmen einer letztlich nicht vollendeten Dissertation Materialien über Leben und Werk des Hornisten, Bratschisten und Komponisten Johann Martin Friedrich Nisle (1780–1873) gesammelt. Mit dem Wunsch, seine Forschungsergebnisse sowie die Werke Nisles öffentlich zugänglich zu machen, trat Lütter an den Verleger Christoph Dohr heran. Dank des Engagements von Lütters Ehefrau Ingeborg sowie der Johann-Lütter-Stiftung Heinsberg konnte dieses Vorhaben ins Werk gesetzt werden: Mittlerweile sind ca. 20 Bände Nisle sowie Lütters grundlegende Arbeit Die Musikerfamilie Nisle bei Dohr publiziert. Christian Vitalis ist hier wie dort als Herausgeber tätig, die Kunststiftung NRW beteiligt sich als großzügige Förderin.
Allen Genannten und im Hintergrund arbeitenden Nichtgenannten sei gedankt, denn sie ermöglichen uns Begegnungen mit Persönlichkeiten – und damit musikgeschichtlichen Mosaiksteinen –, die andernfalls dem Vergessen überlassen wären. Dass Johann Nisle ein überdurchschnittlich begabter Musiker war, erschließt sich beim Studium seines Trios op. 14. Allein dessen „exotische“ Besetzung sollte dem Werk Aufmerksamkeit sichern, denn ansonsten ist der Notenschrank nicht reich bestückt für jene Tage, an denen der Geiger krank wird! Einnehmende Melodik und gute Spielbarkeit – die technischen Anforderungen an alle drei Instrumente bleiben im Rahmen fortgeschrittener Hausmusik – gehören ebenso zu den Vorzügen des Werks wie seine formale Geschlossenheit. Der beethoveneske Kopfsatz ist geprägt vom charakteristischen punktierten Hauptthema, das Seitenthema erscheint als „Ableger“ desselben. Der Finalsatz lässt sich klassifizieren als Sonatenhauptsatz mit Rondo-Elementen. Ungewöhnliches begegnet uns im Andante, einem „flexiblen“ Variationensatz: Nach Vorstellung des As-Dur-Themas hebt die 1. Variation in der harmonisch entfernten Tonart F-Dur an. Über einen modulierenden Brückenabschnitt kehrt das Geschehen nach As-Dur zurück und mündet schließlich in eine freie, weit ausgreifende Schlussvariation.
Und wer war Johann Nisle? Laut Eduard Bernsdorfs Universal-Lexicon der Tonkunst (1861) – der Artikel ist in der vorliegenden Ausgabe wiedergegeben – ein „geschickter Komponist“, als Hornist im Gegensatz zu Vater und Bruder indes kein Überflieger, sondern nur ein „ganz anständiger Bläser“. In jedem Fall ein vielseitiger, weit gereister Musiker, den gleichwohl in Neapel während der 1830er Jahre eine „mächtige Sehnsucht nach seinem deutschen Vaterlande“ überkam. Dort hat er, von einem Abstecher nach London abgesehen, noch lange gelebt: den Lütter’schen Forschungen zufolge bis 1873. Warum in der Neuausgabe seines Trios op. 14 unterschiedliche Geburtsjahre – 1778 und 1780 – angegeben sind, bleibt indes rätselhaft.
Gerhard Anders

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