Genzmer, Harald

Trio

für Flöte, Oboe und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Peters, Frankfurt am Main 2010
erschienen in: das Orchester 05/2011 , Seite 70

„Musik soll vital, kunstvoll und verständlich sein. Als praktikabel mö­ge sie den Interpreten für sich gewinnen, als erfassbar sodann den Hörer.“ Mit diesen Worten beschreibt Harald Genzmer sein musikalisches Credo. Er gehört zu den vielseitigsten und produktivsten zeitgenössischen Komponisten, der wie sein Mentor Paul Hindemith den Dogmen der Avantgarde skeptisch gegenüberstand, aber immer aufgeschlossen war für neues, wie seine Experimente mit elektronischen Instrumenten, speziell dem Trautonium, zeigen. Von 1928 bis 1934 studierte er an der Berliner Hochschule für Musik Komposition bei Paul Hindemith, zu dem er auch ein freundschaftliches Verhältnis hatte. Nach Tätigkeiten als Korrepetitor und Studienleiter an der Breslauer Oper unterrichtete er an der Berliner Volksmusikschule. Diese vielschichtigen Erfahrungen prädestinierten ihn nach dem Krieg für die Berufung an die neu gegründete Musikhochschule in Freiburg. 1957 wechselte er an die Musikhochschule München und beeindruckte mit seinem unfassenden musikalischen Wissen und seiner profunden Kenntnis von Literatur und Bildender Kunst.
So sehr er auch mit seinem Lehrer verglichen wurde, kompositorisch lehnte er eine Gleichsetzung immer wieder ab: „Hindemith ist Linie, ich bin Klang.“ Ein besonders schönes Beispiel für seine Kunst der Klangmischung und der Freude an Klangfarben ist das vorliegende Trio in einer auf den ers­ten Blick ungewöhnlichen Besetzung. Wie der Komponist aber in seiner unverwechselbaren Sprache die Melodiestimmen kunstvoll miteinander verwebt, den Klavierpart oft rhythmisch akzentuiert dagegensetzt und ein Höchstmaß an polyfonem Abwechslungsreichtum schafft, zeigt seine große Meisterschaft. Alle drei Sätze bestechen durch klaren Formsinn, weit ausschwingende Kantilenen kontrastieren mit virtuosen Girlanden. Im Schluss-Satz Allegro molto sieht man die Schmetterlinge förmlich flattern, denn das Werk ist für das „Trio Papillon“ (Thomas Richter, Flöte, Gerhard Schnitzler, Oboe, und Monika Stöhr, Klavier) geschrieben, das es (mit Stefan Kunze an der Oboe als Gast) im Juni 1993 in Bad Boll uraufgeführt hat.
Wie viele Werke Genzmers ist das Trio für Berufsmusiker, Studierende und ambitionierte Laienmusiker gleichermaßen interessant. Trotz aller Virtuosität verlangt es nichts Unspielbares, beeindruckt durch seine Ernsthaftigkeit in den getragenen Passagen und versprüht in den schnellen Sätzen überschäumende Vitalität. Erstaunlich auch, dass Genzmer in kürzester Zeit für ein ihm bis dahin unbekanntes Ensemble völlig uneigennützig ein neues Werk lieferte. Für ihn war eben Musik nicht dazu da „gedacht“ zu werden, sondern „gemacht“ zu werden. Kompositorisches Schaffen war ihm bis zu seinem Tod (2007) eine Lebensnotwendigkeit, und besonders die Blasinstrumente verdanken seinen letzten Lebensjahren so manch lohnendes Werk. Noch im Entstehungsjahr dieses Trios arbeitete er es zu einer Sonate für Heckelfon und Klavier um – eine höchst empfehlenswerte Repertoirebereicherung für dieses ungewöhnliche Instrument (Verlagskopie über Peters, Frankfurt, erhältlich). Das Trio liegt in einer exemplarischen Einspielung mit Andrea Lieberknecht (Flöte), Christian Wetzel (Oboe) und Oliver Triendl (Klavier) bei Thorofon/Bella Musica vor.
Thomas Richter