Werke von Eugène Ysaÿe, Peter Eötvös, Zoltan Kodály und Ernst von Dohnányi

Treasures

Trio Lirico

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Audite
erschienen in: das Orchester 6/2024 , Seite 73

Höchste Ansprüche an klangliche Balance und Zusammenspiel, technisch teilweise extrem schweres Kernrepertoire, sehr wenige Werke namhafter Komponisten… man könnte noch eine ganze Reihe weiterer Gründe dafür finden, warum das Streichtrio, die Besetzung mit Violine, Viola und Violoncello, ein Schattendasein im Konzertbetrieb führt. Gleichzeitig machen einige dieser Aspekte aber auch gerade den Reiz dieser Besetzung aus. Und es gibt zudem großartige Kompositionen für den Streicher-Dreier – sehr bekannte wie Ernst von Dohnányis Serenade und auch weit weniger bekannte, von denen ein paar auf dieser spektakulär gut klingenden CD des Trio Lirico zu hören sind.
Doch beginnen wir mit dem Klassiker der Streichtrioliteratur, der Serenade op. 10 von Ernst von Dohnányi, die natürlich alles andere als ein leichtgewichtiges Stück Freiluftmusik ist. Anspruchsvoll ist das Werk schon in Bezug auf die Spieltechnik in allen drei Stimmen. Und auch in punkto Präzision verzeihen die fünf Sätze nicht die kleinste Nachlässigkeit. Bei gerade einmal drei Stimmen gibt es eben keinen instrumentalen doppelten Boden oder die Möglichkeit, sich zeitweise etwas zurückzunehmen.
Franziska Pietsch (Violine), Sophia Reuter (Viola) und Hila Karni (Violoncello) gelingt ihr Zusammenspiel so perfekt, dass man auf die Idee kommen könnte, die „Erfindung“ des Streichquartetts oder gar größerer Streicherbesetzungen wären schlicht überflüssig gewesen. Was die drei Streicherinnen hier auf die Bühne stellen, hat einfach alles: orchestrale Größe, klangliche Balance, lupenreine Linienführung, eine virtuose Dynamik und einen Drive, der im zentralen Vivace wirklich Staunen macht. Im anschließenden Thema con variazioni weitet das Trio Lirico den Klangraum dann noch stärker, bevor es dem Finalsatz wieder die ganze dynamische Bandbreite der Dreierbesetzung zukommen lässt und das Allegro vivace mit überzeugender Feinmotorik durchgestaltet.
Vor zwei kürzere Werke von Zoltan Kodály und Peter Eötvös – einem musikantischen Intermezzo und einem zupackenden, konturenreicher zeitgenössischen Triosatz – haben die drei Musikerinnen des Trio Lirico den vermutlich größten Schatz dieser Treasures überschriebenen CD gestellt, das weithin unbekannte Streichtrio Le Chimay des belgischen Violinvirtuosen Eugène Ysaÿe. In einem knapp 20-minütigen Satz entwirft Ysaÿe hier ein spektakulär virtuoses und gleichzeitig durchsichtiges Stück Trioliteratur, das eigentlich das Zeug zum absoluten Klassiker hätte, zumal wenn es so überragend souverän gespielt wird wie von Franziska Pietsch, Sophia Reuter und Hila Karni. Eine packende Dramaturgie, virtuose Brillanz (nicht nur in der Violinstimme) und eine fast schon orchestrale Herangehensweise vor allem in den ruhigeren Abschnitten lassen dieses späte Meisterwerk von Eugène Ysaÿe glühen und funkeln.
Daniel Knödler