Werr, Sebastian (Hg.)
Tradition und Innovation
im Holzblasinstrumentenbau des 19. Jahrhunderts
Das Buch liegt gut in der Hand, aber ist kein Hochglanzprodukt mit beeindruckenden Fotos und wenigen Worten. Ganz im Gegenteil. Doch sorgen Abbildungen und Faksimiles für das zeitgenössische Ambiente
und veranschaulichen die technischen Details.
Der Holzblasinstrumentenbau im 19. Jahrhundert ist, zugegeben, nicht für jedermann sofort ein spannendes Thema. Doch hat man erst einmal diesen schönen Tagungsbericht denn das Buch basiert auf den Ergebnissen einer Tagung des Instituts für Musikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München begonnen zu lesen, legt man ihn so schnell nicht wieder aus der Hand. Dem eilig blätternden, vielleicht an manchen Punkten verweilenden, aber auch dem Seite um Seite lesenden Nutzer ist es gleichermaßen eine Bereicherung.
Gleich zu Beginn werden Instrumentationslehren, die sich mit den jeweils aktuell verfügbaren Instrumenten und deren Möglichkeiten beschäftigen, als Quelle verwendet: Was hatten die Komponisten tatsächlich zur Verfügung im Dickicht alter und neuer Modelle und Instrumente, die vielfach nebeneinander geblasen wurden? Überhaupt wurde eine Menge Literatur von den fleißigen Autoren dieses Buchs gewälzt und ist über Fußnoten ohne großes Blättern immer schnell nachvollziehbar.
Spezieller wird es, wenn die Klangideale des Wiener Hofs um 1910 analysiert werden. Mit viel Herzblut recherchiert ist dieses Thema. Immerhin war Wien damals Hauptstadt eines riesigen Reiches mit sehr lebendigem, internationalem Musikleben.
Dass Neuerungen oft mit dem Verschwinden von Altbewährtem einhergehen, ist auch im Instrumentenbau eine Tatsache. So änderte sich manch lieb gewonnenes Klangideal zugunsten des etwas anderen Tons eines technisch flexibleren Neulings. Instrumente unterliegen Moden und Strömungen und werden von Neuentwicklungen ebenso beeinflusst wie alle anderen Produktionsgüter. Irgendwann werden sie sogar historisch. Damit ist dieses Buch, das durchaus auch von interessierten Nichtmusikern mit Gewinn rezipiert werden kann, auch Teil der Kultur- und Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Die Militärmusik und deren spezieller Blasinstrumentenbau ist ebenfalls detailliert erläutert. So erfährt man, dass die Infanterieregimenter nach der Reform 1811 u.a. mit Musikbanden von zehn bis zwölf Hautboisten (was nicht zwangsläufig Oboisten meint) ausgestattet wurden in Galauniformen und mit neuen Instrumenten.
Nun folgen Monografien, die sich mit diversen Instrumenten beschäftigen: mit der Querflöten-Situation in Leipzig Ende des 19. Jahrhunderts (die Böhmflöte im Vergleich zum alten System); sodann sehr gelungene Texte zur Klarinette, zum Siegeszug der französischen Oboe, Informationen zum genialen Exoten Heckelfon, zum Fagott, den etwas speziellen Wiener Instrumenten und dem Kontrafagott. Alles ist gut recherchiert und lesbar. Herausgeber Sebastian Werr lotet am Ende des Buchs die Möglichkeiten des Einsatzes dieser historischen Instrumente heute aus auch dies sehr lesenswert.
Heike Eickhoff