Hiller, Wilfried

Tinnitus-Trio

Szene mit Beethoven für Klarinette in C (oder in B), Violoncello und Klavier (2006), Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: das Orchester 05/2012 , Seite 74

Wilfried Hiller (geb. 1941), vielfach ausgezeichneter Komponist und Bühnenautor, hat sich in seinem Tinnitus-Trio. Szene mit Beethoven von autobiografischen Momenten inspirieren lassen. In einem Münchner Jazz- Konzert suchte ihn ein gewaltiger Tinnitus-Ton heim. Diese Horrorvision eines jeden Musikers stellte sich des Öfteren wiederholt ein. In das vorliegende Trio band er das nervtötende g ein, gespielt von Klarinette und Violoncello, sozusagen eine musikalische Auseinandersetzung mit einem Schicksalsschlag. Er erinnerte ihn an Beethoven, der über dreißig Jahre lang bis zur völligen Ertaubung zu leiden hatte. Schon als Student hatte sich Hiller mit der Frage beschäftigt, „ob manche der Spätwerke Beethovens, denen man eine gewisse Sprödigkeit nicht abzusprechen vermag, auch so geblieben wären, wie wir sie jetzt hören, wenn er sie hätte hören können“.
Das Spätwerk Beethovens klingt im Mittelteil nur rudimentär an. Während Klarinette und Violoncello den bekannten Satz „Muss es sein?
Es muss sein.“ (letztes Streichquartett op. 135) wie ein Morsezeichen repetierend erklingen lassen, spielt der Pianist in das Klangband Fetzen gewichtiger Klaviersonaten (Appassionata, „Waldsteinsonate“, aus op. 31,1 und der letzten op. 111) hinein. Es sind wirklich nur Fetzen, zum Teil eintaktig, nichts Beethoventypisches, keineswegs werkspezifisch, für den Laien als Bestandteil dieser Sonaten nicht erkennbar.
So entwickelt sich für zwölf Minuten in einem vorwiegend seriellen Klangambiente ein psychisches Diagramm von immenser Eindringlichkeit. Die dunkle Baritonfärbung der Instrumente, gepaart mit einem brachialgewaltigen Pianoklang in tiefster oder höchster Lage und der aggressiven, exzessiven Attitude der C-Klarinette,vergegenwärtigt den Seelenzustand eines Musikers, dem die Natur das Wichtigste genommen hat: sein Gehör.
Für die Aufführung wünscht sich Hiller eine szenische Performance. Klarinettist und Cellist spielen hinter dem Publikum, der Pianist auf der Bühne, möglichst vor einem Instrument mit abgeschraubten Flügelbeinen, so wie der völlig ertaubte Beethoven mit aller Gewalt in die Tasten hämmerte.
Ein hochinteressantes Werk voller Emotionen und Dramatik.
Winfried Kühne