Timo Jouko Herrmann
Antonio Salieri
Eine Biographie
Dieses Buch ist eine reine Lobeshymne. Sicher nicht nur, weil dessen Verfasser das verschollene Freudenlied Per la ricuperata salute di Ofelia wiedergefunden hat, das einst Antonio Salieri, Wolfgang Amadeus Mozart und Cornetti gemeinsam komponierten.
Timo Jouko Herrmann, promovierter Musikwissenschaftler, Komponist und Dirigent, will Salieri (1750-1825) den Platz in der Musikgeschichte zurückgeben, der ihm seiner Meinung nach zusteht. Herrmann beginnt das Lebensbild des Komponisten zwar mit der Wiederentdeckung des Liedes und der schönen Anekdote, dass er selbst ganz altmodisch mit Bleistift und Notenpapier komponiere und lieber in realen Archiven als im Internet recherchiere. Gefunden hat er Per la ricuperata salute di Ofelia aber ausgerechnet am PC, im tschechischen Museum der Musik.
Nach dem Blick auf Familie und Jugend – nach dem frühen Tod des Vaters wurde der Komponist Florian Leopold Gassmann zum „Zweitvater“ und Lehrer – breitet Herrmann vor allem den Arbeitsalltag Salieris aus. Ihn als „Vielschreiber“ zu bezeichnen, wäre wohl noch untertrieben und so gibt die Biografie Einblick in dessen Verpflichtung, als „k.k. Kammer-Compositor“ beständig neue Musik zu höfischen Anlässen zu liefern, ein endloser Strom von Werken. Sehr oft fallen zu diesen Werken Worte wie „launig“ oder „unterhaltsam-galant“, die Wirkung beim Publikum schildert er so anschaulich, als hätte er damals im Theater gesessen. Da wären Hinweise, woher er sein Wissen hat, hilfreich gewesen. Aber Herrmann beherrscht auch die eher seltene Kunst, Musik nachvollziehbar zu beschreiben: Da werden Posaunen für dunkle Mächte, pastellne Klangfarben für Nymphen eingesetzt, schießen Solostimmen „wie Feuerwerksraketen in die Höhe“.
Allerdings verliert er sich in langen Inhaltsangaben, stellt Salieri mehrfach als Verfechter der Gluckschen Opernreform dar, ohne diese zu erläutern. Aber der Autor entdeckt in Salieris Kompositionen auch „sozialkritische Ansätze“ und selten behandelte Themen wie Ehescheidung oder Sklaverei (in der Oper „Tatare“). Die Bekanntschaft mit Mozart zieht sich durch das Buch, auch weil Salieri an zwei Opernstoffen scheiterte, die dann Mozart übernahm: Così fan tutte und La Clemenza di Tito. Und natürlich befasst er sich mit dem Gerücht, Salieri habe den Konkurrenten Mozart ermordet, und entdeckt eine „nationalistische Grundfärbung“ in Texten, die „den Stolz des Vaterlands“ (Mozart) gegen „deutschen Übermut“ (Salieri) stellten.
Sehr lesenswert auch, dass Beethoven, Schubert oder Hummel bei ihm kostenlosen, an kein Lehrbuch gebundenen Unterricht erhielten, was beim jungen Schubert 1814 zu dessen erster Messe in F-Fur D 105 führte. Und wenn der Autor Salieri im Epilog als „historische Figur“ bezeichnet, gehört dazu auch, dass der Komponist seine große Furcht während der napoleonischen Kriege in Psalmen und Kantaten fasste. Für Timo Jouko Herrmann ist Antonio Salieri ein Erneuerer, wenn auch kein musikalischer Revolutionär, und ein kosmopolitischer Künstler, dessen Werk dringend wiederentdeckt werden muss.
Ute Grundmann