Schmidt, Thomas

Theater, Krise und Reform

Eine Kritik des deutschen Theatersystems

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Springer VS, Wiesbaden 2017
erschienen in: das Orchester 07-08/2017 , Seite 60

Der Titel sagt eigentlich alles: Das deutsche Theatersystem befindet sich in der Krise, es bedarf der Reform und der Autor weiß, wie diese vorzunehmen ist. Das mit 466 Seiten recht umfangreiche Buch stellt sich damit in eine Reihe von Publikationen, die den öffentlich geförderten Theater- (und Orchester-)betrieb kritisch beleuchten (was legitim ist), ihn aber anschließend so zerlegen will, dass man sich wundert, wie Theater und Orchester in Deutschland überhaupt noch funktionieren. Besonders radikal hatten das 2013 vier andere Autoren mit ihrem Buch Kulturinfarkt versucht. Folgen waren seinerzeit ein allgemeiner Aufschrei der Szene, eine kurze und heftige Debatte und ein lautloses Verschwinden des „Skandal“-Buchs in Bibliotheken und Archiven.
Worum geht es jetzt im Einzelnen? Der Autor, Professor für Theater- und Orchestermanagement in Frankfurt am Main, holt bereits in der Einführung mit einer Breitseite gegen das deutsche Theatersystem aus („Ein Riese gerät ins Taumeln“): überall Krisen, bei Kulturpolitik, Zuschauern, unzureichender Finanzierung, Strukturen, Produktionsweisen und Unternehmenskultur, um dann im ersten Kapitel die von ihm ausgemachten „Indikatoren für den anstehenden Umbruch“ zu beschreiben. Diese werden auf 140 Seiten im zweiten Teil weiter ausgebreitet und teilweise mit leider fragwürdigen Kennzahlen belegt (Ranking von Theatern nach Besucherzahl pro Mitarbeiter). Natürlich gibt es Defizite, die Schmidt zurecht anspricht, wie z.B. unzureichende Finanzierungssysteme, Überproduktionen (zu viele Premieren in zu kurzer Zeit), überholte bzw. überforderte Intendanzstrukturen. Aber deswegen gleich die allgemeine Krise ausrufen?
Im dritten Kapitel beschreibt Schmidt die „Krise der Organisation“ Theater auf verschiedenen Ebenen: bei der Unternehmenskultur, beim Leitungsmodell, beim Ensemble, in der Kommunikation etc. Im vierten Kapitel geht um die „Suche nach einer neuen Balance“; was sich harmlos anhört, tatsächlich aber eher einer Revolution entspricht (der Kulturinfarkt lässt grüßen). Schmidt will z.B. die Intendanz durch ein „Team“ ablösen, die Mitsprache des Ensembles deutlich vergrößern, betriebsintern Personalbudgets umverteilen, „das Privilegiensystem eines Orchesters, der Technik und der Administration“ abbauen. Das fünfte Kapitel schließlich bringt den „40 Punkte Plan“ für „eine Reform des deutschen Theatersystems“, der u.a. einen Einheitstarifvertrag vorsieht (wie zu DDR-Zeiten den staatlich verordneten Rahmenkollektivvertrag), den Ausstieg aus öffentlichen Tarifbindungen oder den Einstieg des Bundes in die Finanzierung.
Der Gesamteindruck bleibt zwiespältig: Einerseits gibt es vielfältige zutreffende Hinweise und Handlungsvorschläge, andererseits ist das Buch nicht wirklich logisch aufgebaut und z.T. widersprüchlich (Ausstieg aus der Tarifbindung, stattdessen Haustarife, aber regelmäßige Tarifsteigerungen); unwissenschaftlich ist der Verzicht auf genaue Seitenangaben in den Fußnoten. Fazit: Anschaffung ja, aber kritische Lektüre, Berücksichtigung nur einzelner Vorschläge und deutliche Abstriche bei völlig unrealistischen Forderungen.
Gerald Mertens