Theater für die Stadt

Das Nationaltheater Mannheim unter der Intendanz von Ulrich Schwab 1996-2005

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Nationaltheater Mannheim, 2005
erschienen in: das Orchester 12/2005 , Seite 68

Egal, ob Zahnweiß oder Sinfoniekonzert, Männerduft oder Kopfschmerztablette, Babywindel oder Opernintendanz: Alles ist nur so gut, wie man es zu verkaufen versteht. Das ungefähr ist die Hauptthese von Marketingleuten – und sie haben Recht. Kürzlich erst wurde wieder einmal beklagt, dass verhältnismäßig wenig Orchester in Deutschland sich Fachleute im Marketing leisteten und was dadurch an Möglichkeiten vergeben würde. Ein Dilemma auch an deutschen Bühnen, wo die Marketingabteilung immer noch häufig ein ungeliebtes Anhängsel der Dramaturgie ist und von Mitarbeitern betrieben wird, die oft weder die richtige Fachausbildung noch meist die nötige Zeit oder den unerlässlichen Stab von Mitarbeitern haben, die Selbstdarstellung des Theaters nach außen hin wirklich ideenreich und intelligent zu managen. Denn Theater findet nicht nur auf der Bühne statt.
Das hat Ulrich Schwab früh begriffen, als er die Intendanz des Mannheimer Nationaltheaters 1996 übernahm. Rasch hatte er eine entsprechende Abteilung installiert und das Vierspartenhaus (das so wichtige Jugendtheater wird zwischen Oper, Schauspiel und Ballett häufig vergessen – nicht so in Mannheim, wo der „Schnawwl“ eine langjährige Institution ist) durch zahlreiche spektakuläre Aktionen auch ins Bewusstsein derjenigen gebracht, die bisher kaum Kontakt zum Theater hatten. Am besten in Erinnerung ist vielleicht die „Kohle für den Ring“, wo man ein Stück Kohle erwerben konnte und damit Martin Schülers Neuinszenierung der Wagner-Tetralogie finanzieren half (1999). Das machte nicht nur ein Mammutprojekt möglich, sondern half auch eine dauerhafte Bindung zu schaffen zwischen hoch subventionierter Bühnenkunst und dem Publikum vor Ort, in der Stadt, in der Region. Zusammen mit den GMDs Jun Märkl (bis 2000) und Adam Fischer (ab 2000/01), den Schauspieldirektoren Bruno Klimek (bis 2000) und Jens-Daniel Herzog (ab 2000/01), den Choreografen Philippe Talard (bis 2001), Mark McClain (2001/02) sowie Kevin O’Day und Dominique Dumais (ab 2002/03), nicht zu vergessen der jungen Garde im „Schnawwl“, gelang es Generalintendant Ulrich Schwab schnell, das Haus ins Gespräch zu bringen.
In einer über 200 Seiten starken, an Namen, Fakten und Bildern reichen Dokumentation wird die Ära Schwab in Mannheim nun ausgiebig gefeiert. (Die Nachbarstadt Heidelberg hat dies übrigens mit der Ära Günther Beelitz, die ebenfalls mit der vergangenen Spielzeit zu Ende ging, in ganz ähnlicher Weise getan.) Quasi naturgemäß wird von den Gastautoren, die sich in diesem Buch jeweils einem Thema widmen, mehr gelobhudelt als kritisch betrachtet, denn – wie das richtige Leben – so verlief auch das Mannheimer Theaterleben unter Schwabs Intendanz nicht gänzlich ohne Probleme und Reibungen. Es führten etwa die Proteste des Opernpublikums dazu, dass eine Neuinszenierung von Wagners Meistersingern durch den katalanischen Skandalregisseur Calixto Bieito nicht realisiert werden konnte, und Christopher Aldens Carmen-Inszenierung entfachte einen handfesten Zwist zwischen Publikum und Theaterintendanz. Mit viel Erklärungsaufwand rechtfertigte diese auch drei Second-Hand-Nachproduktionen (Übernahmen, nicht Gastspiele aus Antwerpen und Düsseldorf) als lokale Blicke auf europäische Inszenierungen von Rang: Die Diskussion darüber, ob Mannheim dadurch nicht sein eigenständiges künstlerisches Profil als Opernhaus von Rang einbüßen würde, brannte lang und heftig.
Musikalisches Profil gewann man am Mannheimer Goethe-Platz indes mit anderem: dem Doppelabend Monteverdi/Bartók unter Adam Fischers Leitung, Berlioz’ Les Troyens (Regie: Sebastian Baumgarten) und Battistellis Marmorklippen (in der Uraufführung durch die Truppe „La Fura dels Baus“) oder aber durch die „Mozart-Wochen“ und Fischers Bemühungen, mit kleinen Gruppen des Orchesters „historische Aufführungspraxis“ zumindest ansatzweise zu realisieren und das in der „Orchesterakademie Mannheimer Schule“ auch nach außen zu vermitteln. Mozart war seither immer eine Überraschung im Orchestergraben des Nationaltheaters. Composer in Residence waren Matthias Pintscher, Manuel Hidalgo, Giorgio Battistelli, Detlev Glanert, Moritz Eggert sowie Isabel Mundry und Brice Pauset.
Daneben natürlich Schauspiel, wo sich die „Schiller-Bühne“ gerade den Klassikern sehr erfolgreich zuwandte, und das Tanztheater. Johann Kresniks „Brecht.“-Abend (1998) war mithin nur eine von insgesamt 317 Produktionen, die unter Schwab in Mannheim gezeigt wurden: eine respektable Bilanz.
Matthias Roth