Franz Xaver Mozart
The Two Piano Concertos
Andriy Dragan (Piano), Musikkollegium Winterthur, Ltg. Bogdan Božović
Ein kurzer Blick auf das Notenmaterial genügt, um festzustellen, dass wir es hier mit einem anderen Mozart zu tun haben: Franz Xaver läutet zaghaft die Romantik ein mit ihrer Freude an Arpeggien, Piano-Brillanterien und den dazu gehörigen Tastenlöwen. Zwar blickt auch Übervater Wolfgang Amadeus noch das eine oder andere Mal durch die Noten (z. B. im ersten Satz des ersten Klavierkonzerts, wo der Sohn kurz des Vaters Finalthema aus dem Violinkonzert D-Dur, KV 218 zitiert), aber gelegentlich lassen sich auch schon vorsichtige Chopin-Klänge heraushören (so im Seitenthema des Allegro con brio des zweiten Klavierkonzerts). Franz-Xaver verfügt über eine recht eigene Musiksprache, dieser Interimist zwischen Klassik und Romantik, dieser Brückenbauer zwischen zwei Epochen. Eine Eigenschaft, die ihn auch in geografischer Hinsicht kennzeichnet: Aus Wien nach Lemberg (heute: L’viv) aufgebrochen (man vermutet, dass die überehrgeizige Mutter Constanze, die aus Franz Xaver gern einen zweiten Wolfgang Amadeus geformt hätte, einer der Gründe für diese „Flucht“ gewesen sein könnte), bildet er auch hier eine Brücke zwischen der „alten“, mitteleuropäischen Klassik und dem Osten, wo er gern auch mal slawisches Musikgut untermischt. Das ist auch so ganz abwegig nicht, denn außer Russen, Bulgaren und den ganz kleinen westslawischen Stämmen befanden sich alle anderen Slawen damals noch unter der österreichischen Krone. Hier, in Galizien, macht er sich als Organisator des Musiklebens verdient und fällt auch als brillanter Pianist auf.
Die beiden konventionell strukturierten Klavierkonzerte zeichnen sich durch eine mitreißende Vitalität besonders in den Ecksätzen aus, wohingegen die jeweiligen langsamen Mittelsätze nach den in einem Interview geäußerten Worten des Solisten „die weinende Seele des Komponisten“ repräsentieren.
Für die Interpretation der Musik Franz Xaver Mozarts lässt sich kaum ein kompetenterer Anwalt als Andriy Dragan denken. Selbst aus der Ukraine stammend und heute in der Schweiz lebend, hat er sich die Erforschung des juniormozartschen Œuvres zur Lebensaufgabe gemacht und die Absicht durchblicken lassen, noch (möglichst viele) weitere Musiken Franz Xavers einzuspielen, um ihn dadurch wenigstens ein wenig aus dem Schatten seines Vaters hervortreten zu lassen.
Das Musikkollegium Winterthur blickt auf ein bald 400-jähriges Bestehen zurück. Ensembleleiter Bogdan Božović weiß sich mit Andriy Dragan einig in der Frage, wie denn die Konzerte Franz Xaver Mozarts zu interpretieren seien, und so ist hier eine verdienstvolle Aufnahme aus einem sprichwörtlich so genannten „einzigen Guss“ entstanden!
Friedemann Kluge