Bach, Johann Sebastian

The Sonatas and Partitas for Violin solo BWV 1001-1006

Rubrik: CDs
Verlag/Label: ECM Records 476 3152
erschienen in: das Orchester 03/2007 , Seite 89

John Holloway ist einer der wichtigsten britischen Geiger der historischen Aufführungspraxis. Als Konzertmeister der London Classical Players und als Solist trug er maßgeblich zum Siegeszug der Alten Musik bei. Im Booklet der CD gibt er einen Einblick in seine Interpreten-Werkstatt: Als erstes ist für ihn Bachs Notenbild wichtig. Er musiziert nicht aus einer Urtextausgabe, vielmehr aus dem Faksimile, da ihn Bachs Handschrift fasziniert. Als zweites – und das zeigt seinen undogmatischen Umgang mit der historisches Aufführungspraxis – prägte ihn die Interpretation der Solosonaten von Yehudi Menuhin. Doch am wichtigsten ist für ihn das Spiel auf einer Barockvioline, das ihm das reiche Repertoire der Barockmusik vor Bach erschloss und das für ihn eine Herausforderung und eine Chance ist, die Klangwelt des Barock zu erfassen. Holloway und Manfred Eicher, der Produzent von ECM Records, wählten als Aufnahmeort die Probstei St. Gerold. Ein natürlicher Hall verstärkt den Klang der Violine und verleiht ihr ein großes, oft fast orchestrales Volumen.
John Holloways Interpretation von Bachs Solowerken für Violine nimmt für sich durch ihre Natürlichkeit ein. Die oft dogmatisch vertretenen Manierismen der historischen Aufführungspraxis fehlen und die Entfernung zu Interpretationen älterer Geiger, etwa Menuhins, scheint gar nicht so weit. Die außerordentlichen technischen Schwierigkeiten, die Bach dem Spieler abfordert, treten hier in den Hintergrund. Holloway wählt keine extremen Tempi, weder in den langsamen noch in den schnellen Sätzen. Allerdings zeigt er eine erstaunliche Virtuosität etwa in den Läufen des Presto der g-Moll-Sonate (Nr. 1). Die Natürlichkeit seines Spiels entsteht, indem er jeden Ton ernst nimmt und den Rhythmus der Tänze, aber auch der Klangrede entsprechend dem Bewegungsduktus und des Sprachrhythmus erfasst. In den Teilen mit einer Art virtueller Mehrstimmigkeit unterscheidet Holloway nicht nur verschiedene „Stimmen“, also Ober- und Bassstimme, sondern gestaltet auch innerhalb dieser Stimmen überlegt und sprechend. Obwohl er detailliert artikuliert, zerreißt er nicht melodische und harmonische Zusammenhänge. In der Chaconne gelingt es ihm, nicht nur eine „Klangrede“ im Sinne Harnoncourts hervorzubringen, sondern eine „Klangerzählung“.
Holloways Annäherung an Bachs Solosonaten geschieht aus einer lebenslangen Erfahrung mit Musik. Als Ergebnis entsteht „einfach“ große Musik, keine Hervorkehrung einschüchternder Virtuosität, sondern eine Leichtigkeit, wie sie nur großen Musikern gelingt. Die Frage nach der Berechtigung von historischer Aufführungspraxis oder konventionellem Violinspiel tritt in den Hintergrund – und der Hörer ist beglückt über die Schönheit, den Ausdrucksreichtum, die Expressivität, die Komplexität und doch eindringliche Einfachheit von Bachs Musik.
Franzpeter Messmer