Stravinsky, Igor / Wynton Marsalis
The Soldier’s Tale / Meeelaan
Strawinsky war seit den 1930er Jahren vermehrt in den USA tätig, wurde 1945 amerikanischer Staatsbürger und initiierte eine beispiellose Dokumentation seiner Werke für die US-Plattenfirma Columbia. Aber auch schon vorher gab es innige Verbindungen zwischen dem Komponisten und seiner Wahlheimat: Die nordamerikanische Musik, namentlich der Ragtime, inspirierte ihn bei mancher frühen Komposition, nicht zuletzt bei der Geschichte vom Soldaten. Aufnahmen durch amerikanische Ensembles etwa 1974 durch die Boston Symphony Chamber Players zählen mit zu den besten Einspielungen dieses Werks. Die nun vorliegende durch die Chamber Music Society of Lincoln Center hält diesen hohen Standard selbstverständlich, möchte man fast sagen, wenn man einen Blick auf die hochkarätige Besetzung wirft.
Dass sich einige der Mitwirkenden sowohl im Klassik- wie im Jazzbereich profiliert haben (Marsalis, Taylor, Meyer, Harris), verleiht diesem Ensemble eine ganz eigene Kompetenz. Fast scheint es, als käme Strawinskys Soldat hier endlich doch einmal nach Hause, zurück in jene jazznahe Sphäre, von der die holzschnittartige, eine Straßenband evozierende Septett-Sprache des Werks einst inspiriert wurde. Die Darbietung des englischen Sprechtexts durch den afroamerikanischen Schauspieler André De Shields mit komödiantischem Humor und einigen Freiheiten trägt das Ihre dazu bei, hier den Geist von Vaudeville und Jahrmarkt zu beschwören. Dankbar lacht das Publikum man hört es gerne und verzeiht die übrigen Nebengeräusche, die eine Konzertaufnahme nun einmal mit sich bringt. Aufgenommen wurde 1998, siebzig Jahre nach der US-Uraufführung, live in der Alice Tully Hall im Lincoln Center, New York.
Wynton Marsalis, der künstlerische Leiter des Jazz-Programms am Lincoln Center, ließ sich von The Soldiers Tale vor Jahren schon zu einer eigenen Komposition für dieselbe Besetzung inspirieren und nannte sie A Fiddlers Tale Suite. Aber auch Meeelaan entstand aus der Zusammenarbeit mit der Chamber Society, genauer gesagt: als Auftragsarbeit für seinen Kollegen am Fagott, Milan Turkovic. Das dreisätzige Werk ist ein virtuoses Concertino für Fagott und Streichquartett. Wohl nicht zufällig erinnern die Satzbezeichnungen (Blues, Tango, Bebop) an die drei Tänze im Soldaten (Tango, Walzer, Ragtime). Besonders im swingenden Blues-Satz wird dem Fagottisten dabei ein Maximum an bläserischem, nahezu jazzigem Ausdruck abverlangt; im Mittelsatz springen deutliche Anklänge an Piazzollas Streicher-Techniken ins Ohr. Beide Sätze sind dankbare, unsperrige Kammermusiken, für die Blues und Tango jedoch nicht mehr als eine Inspiration waren. Am abstraktesten scheint der Bezug des schmissig-effektvollen Finalsatzes zum Bebop des modernen Jazz: Hier wäre im Booklet ein erklärender Kommentar des Komponisten hilfreich gewesen.
Hans-Jürgen Schaal