Eggert, Moritz

The Raven Nevermore

Music of Infinite Variety

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Audite SACD 92.687
erschienen in: das Orchester 01/2013 , Seite 74

Wie lässt es sich als Komponist unangepasst arbeiten, ohne schon wieder in der Unangepasstheit angepasst zu sein? Diese Frage treibt Moritz Eggert um und um. Das Mittel, mit dem Eggert dieses ebenso komplizierte wie künstlerisch durchaus existenzielle Thema umkreist, ist eine ins Offene gerichtete spielerische Grundhaltung. Will heißen, Eggert hantiert nicht mit qualitativ scheinbar eindeutig konnotierten Unterscheidungen wie E- und U-Musik. Die einzige Ebene, die er streng meidet, ist die der flachen Unterhaltung. Die einzige Ebene, die ihm trotz aller auch philosophisch inspirierten Spielfreude suspekt ist, ist die der aller Sinnlichkeit entleerten, der reinen intellektuellen Konstruktion.
So gesehen ist die vorliegende Produktion mit Werken Eggerts aus den Jahren 1985 bis 2010 nicht mehr und nicht weniger als ein repräsentativer Querschnitt der Arbeit dieses Komponisten, der mit seinen Arbeiten polarisiert, wenngleich nicht aus Lust an der Provokation, sondern weil er der Bewegung seiner Musik bedingungslos folgt.
Mit welchem Mut, aber auch mit welchem Respekt Eggert seine Sicht auf musikalische Ikonen neu formuliert, ist schon dem Eingangstitel eingeschrieben. Ich bin der Welt abhanden gekommen: Dieses Rückert-Gedicht, das Mahler mit seiner Komposition wohl ein für allemal melodiös geprägt hat, ist von Eggert zusammen mit Inga Humpe und Tommi Eckart von der Popband 2raumwohnung in einen stilistisch sorgfältig gestalteten Transferraum versetzt worden, irgendwo verankert zwischen modern ausklingender Spätromantik und heutigem populärem Duktus. Abzulesen ist das auch an dem Instrumentalarrangement, in dem Eggert die Singstimme einbettet in Streicher- und E-Gitarre-Sounds, geführt vom Klavier.
Grundsätzlich, so hat man den Eindruck, kreist Eggert mit seiner spielerischen Grundhaltung um das berühmte Unaussprechliche, das hinter den Dingen, insbesondere hinter den Worten liegt. So sucht Eggert hinter dem Titel Tetragrammaton, dem hebräischen Symbol für Jahwe, auf rhythmisch und vor allem auf instrumentationstechnisch eigentümliche Weise nach dem unaussprechlichen Grund allen Seins. Ein wenig erinnert das an Charles Ives, einem der Vorbilder von Eggert – repräsentiert in dem hier ebenfalls eingespielten Adagio – An Answered Question. Ein wenig erinnert das aber auch an die großen Minimalisten, und doch: Tetragrammaton ist ein originäres Eggert-Stück in seiner splendiden Verknüpfung von rhythmischen und melodischen Schichten. Anders gesagt: Vielleicht lässt sich Moritz Eggert als ein meisterlicher Vertreter der originellen Allusion begreifen, als einer, der dem Begriff der Poesie alle Facetten abringen will, nicht nur die rosafarbenen, auch die dunklen Farben, so wie in dem titelgebenden Stück der CD The Raven Nevermore nach dem Gedicht The Raven von Edgar Allan Poe.
Annette Eckerle