Gustav Holst

The Planets

Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Daniel Harding

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BR Klassik 900208
erschienen in: das Orchester 9/2023 , Seite 70

Die Antike dachte sich die Erde als Zentrum des Alls, umkreist von den Planeten auf wohlgeordneten Bahnen. In Anlehnung an griechische Traditionen unterschied der römische Philosoph Boethius zwischen der „Sphärenharmonie“ des Makrokosmos (musica mundana), den harmonischen Proportionen von Leib und Seele (musica humana) und den hörbaren Harmonien von Menschen hervorgebrachter Klänge (musica instrumentalis).
Den britischen Komponisten Gustav Holst interessierten allerdings weniger die harmonischen Verhältnisse im Makro- und Mikrokosmos als vielmehr die Charaktereigenschaften, die der Astrologe Alan Leo den Planeten in seiner „Esoterischen Astrologie“ (1913) zuschrieb. Die Lektüre regte Holst zu einer Suite für großes Orchester und Frauenchor an, die er 1916 abschloss und The Planets nannte.
Beim Hören gewinnt man den Eindruck, es sei ihm eher um eine Ausstellung menschlicher Charakterbilder gegangen als um einen Katalog planetarischer Wesenheiten. Tatsächlich tauchen die Namen der Gestirne, die den anhaltenden Welterfolg der Suite entschieden förderten, in der ersten Niederschrift noch gar nicht auf.
Bis in die Gegenwart erfreut sich der überbordend instrumentierte Zyklus bei Orchestern und Publikum großer Beliebtheit. Angesichts der mehrfach geteilten Streichergruppen, 20 Holz- und 15 Blechbläser, des mächtigen Schlagzeugaufgebots (allein sechs Pauken), der Orgel und des achtstimmigen Frauenchors im Finalsatz wird das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks um Aufstockungen wohl kaum herumgekommen sein. So konnte Daniel Harding, dessen bevorzugter Gastdirigent, bei der Live-Aufnahme im Herkulessaal der Residenz buchstäblich aus dem Vollen schöpfen. Wie im Beiheft angedeutet, nährt Hardings Werkauffassung die ­Vermutung, der Komponist habe eine Zweiteilung der sieben Sätze im Sinn gehabt, woraus sich „eine Art Doppelsymphonie“ ergab: eine frühklassische in drei Sätzen – Krieg bringender Mars, Frieden bringende Venus, geflügelter Bote Merkur – und eine klassisch-romantische in vier Sätzen – Jupiter als „Bringer der Fröhlichkeit“, Saturn als sanfter „Bringer des Alters“, Uranus als Magier (von Dukas’ Zauberlehrling inspiriert) und Neptun als Mystiker (Chorfinale, ins Unendliche ausschwingend).
Aufregend, wie Harding den sturen Marschrhythmus des Kriegers Mars im 5/4-Takt unterläuft, Themen zu patriotischem Bombast aufbauscht und den durchgehaltenen Grundton mit Dissonanzen attackiert, als hätte Holst Strawinskys Sacre im Ohr gehabt. Aus indischen Modi und englischem Volkston, Kirchenlied und Music-Hall-Song, Wagner-, Skrjabin- und Strawinsky-Reminiszenzen, Makro- und Mikrokosmos gewonnen, sind und bleiben The Planets zeitlos gültig. Lutz Lesle

 

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