Rutter, John

The Piper of Hamelin

Rubrik: CDs
Verlag/Label: MDG 337 1789-2
erschienen in: das Orchester 09/2013 , Seite 80

Hanna erklärt ihrem Vater den Plot einer bevorstehenden Opernaufführung, die sie mit ihrem Jugendchor hat. Im munteren Dialog geht es um Hauptfiguren, um Ereignisse, es geht um Oper generell. Ganz kurz werden Leitmotive angespielt. Dann beginnt die eigentliche Story um die alte Geschichte des Querflöte (?) spielenden Rattenfängers, der von der Stadtverwaltung um seinen verdienten Lohn geprellt wird und schließlich die Kinder aus der betrügerischen Stadt in eine neue Welt führt.
Songs werden solistisch, im Duett, meist im Chor in englischer Sprache dargeboten. Dazwischen befinden sich szenenorientierte Dialoge in Deutsch und zündende Kommentare mit Erläuterungscharakter, die eventuelle Verständnisdefizite reduzieren, den Spannungsbogen aufrecht erhalten sollen. Appendix bildet eine kleine Unterweisung über das bei diesem Rattenfänger tragende Soloinstrument, die Querflöte.
Die rein tonale, eher brave, gut singbare, geschmeidig gesetzte, in ihrem Schwierigkeitsgrad auf ein Schulorchester mit herausragender Flöte zugeschnittene postmoderne Musik von John Rutter bereitet Vergnügen, ist aber nicht wirklich bestechend. Wunderbar ausgedachte Lieder wie „God, who made war“ stehen neben Biederem. Stilistisch wirkt alles zu sehr bereits dagewesen, etwas altbacken. Eine sparsame Orchestrierung – neben Streichern lediglich Flöte, Oboe, Harfe, Schlagzeug und Klavier – macht das Werk zwar leichter realisierbar, verhindert jedoch eine einprägsamere Charakterisierung.
Tatsächlich verleihen die witzigen kommentierenden Texte zwischen den Songs der Sache einen effektiven Drall, der gut weiterträgt. Der kulturpolitisch verdienstvolle Dirigent und Initiator Thomas Honickel, der dramaturgisch Hand anlegte, spielt hier seine Erfahrung mit Jugendprojekten am überzeugendsten aus. Ebenso sind die Tempi der Songs sehr wohl gewählt.
Komödiant Bernhard Hoëcker und einige junge Sprecher sind gut. Anderes wirkt dagegen doch wie gut einstudierte Schülerdeklamation. Es gibt begabte Solosänger neben ordentlichen. Das auf Kammergröße reduzierte Beethoven-Orchester musiziert ausdrucksstark. Die Flöten-Solistin macht ihre Sache elegant. Offen und munter singende Chorkinder gehen leider Töne bei Sprüngen nach oben zu sehr von unten an, was der Intonation schadet.
Das größte Problem der CD ist letztlich aber ihre amorphe Gestalt, die pädagogisch ambitionierte Multifunktionalität. Eine Oper jedenfalls – wie im Titel angekündigt – ist dieser Rattenfänger mit gerade einmal 35 Minuten Musik von insgesamt 72 Minuten niemals. Vielmehr befindet sich auf der technisch gut gemachten CD ein Zwischenwesen: eine Hörspiel-Singspiel-Instrumentenkunde-Sprachkurs-Playalong-Kinderuni-Produktion. Alle agieren mit besten Absichten auf hohem Niveau, können aber mit diesem Medium fremde Zuhörer, auch junge, nicht tief und bewegend erreichen.
Gerhard Scherer