Xiaogang Ye

The last Paradise/Winter/Pipa Concerto/Horizon

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo 6646 2
erschienen in: das Orchester 11/2004 , Seite 89

Die Frage nach dem Eigenen und Fremden, dem Nationalen und Kosmopolitischen – eine der ewigen Diskussionen in Kunst und Musik – hat verschiedene Modalitäten in der heutigen Zeit. Dem in Peking geborenen Xiaogang Ye (1955), der zu den prominentesten Komponisten seines Landes zählt, gelingt der Spagat zwischen der westeuropäischen und ostasiatischen, der klassisch-modernen (etwa Debussy, Bartók, Strawinsky, der russisch-sowjetischen Tradition, vor allem Schostakowitsch) und traditionellen chinesischen Kultur. Die Symbiose zwischen verschiedenen Stilen und ästhetischen Richtungen lässt sich nicht nur durch die Wahl der (meistens klassischen) Gattungen nachvollziehen, durch die Wechsel in der Tonorganisation des Materials (mikrotonal, modal, pentatonisch), sondern auch durch das Klangbild, das sowohl von klassischen als auch von ostasiatischen Instrumenten geprägt ist. Hier zeigen sich auch Kontraste zwischen dem massiven Orchesterklang mit großen dynamischen Steigerungen klassisch-romantischer Art und meditativen lyrischen Gestaltungen.

In seinem Violinkonzert The last Paradise (1993), in der bemerkenswerten Interpretation von Wei Lu, ist eine idiomatische Schreibweise zu beobachten, wodurch die technischen und klanglichen Möglichkeiten der Violine und des sinfonischen Orchesters in großem Maße genutzt werden. Eine expressive Wirkung übt sein Orchesterstück Winter (1988) aus, das sich als eine gespenstische, klangfarbige Landschaft entfaltet. Eine volkstümliche Atmosphäre verbreitet das Pipa Concerto (virtuos gespielt von Man Wu) durch den charakteristischen Klang dieses alten Volksinstruments. Es beginnt mit einer traditionellen chinesischen Musik, entwickelt sich aber weiter zu einem Kaleidoskop aus verschiedenartigen europäischen und außereuropäischen Einflüssen.

Auch in seiner Symphony Nr. 2 Horizon (1984/85) bilden sich Amalgame unterschiedlicher ästhetischer Richtungen. Die apokalyptische Programmatik des Werks nach dem gleichnamigen Gedicht von Suola Liu kommt in den scharfen Kontrasten der bunten Orchesterepisoden zum Ausdruck, denen eine filmerzählerische Technik zugrunde liegt. Obwohl die beiden Solisten Yanyan Wang (Sopran) und Song-Hu Liu (Bariton) sowohl stimmlich als auch musikalisch ihre Aufgabe überzeugend lösen, kommt die Problematik vom Ende der Welt in ihren epischen antifonen Dialogen im Stile der Peking Oper wenig zur Geltung.

Das Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken mit seinem Chefdirigenten Günther Herbig und dem Gastdirigenten Yi Zhang zeigt auch auf dieser CD seine hervorragenden Qualitäten und künstlerische Präsenz. Das engagierte Musizieren, der stabile sinfonische Aufbau, der prachtvolle und nuancierte Klang – dies alles ist die beste Unterstützung für Neue Musik. Besonders für Komponisten und Werke, die im Konzertrepertoire wenig vertreten sind.

Maria Kostakeva