Strauss, Richard / Duke Ellington / Igor Strawinsky

The Kristjan Järvi Sound Project. Parallel Tones / Sinfonia domestica op. 53 / A Tone Parallel to Harlem / Praeludium for Jazz Band

MDR Sinfonieorchester, Ltg. Kristjan Järvi

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naïve V 5404
erschienen in: das Orchester 12/2015 , Seite 81

„Ein Album, das Musiker und vor allem Komponisten anregen soll, sich sämtlicher Klänge von gestern zu bemächtigen, sie miteinander zu mischen und weiterzuentwickeln“, so charakterisiert der Dirigent Kristjan Järvi seine neueste Einspielung mit dem MDR Sinfonieorchester. An unterschiedlichsten Klangerfahrungen mangelt es auf der CD tatsächlich nicht. Parallel Tones erschien im Juni 2015 beim Label Naïve und beinhaltet neben Richard Strauss’ Sinfonia domestica noch Duke Ellingtons A Tone Parallel to Harlem und Igor Strawinskys Præludium for Jazz Band. Die Aufnahme ist der dritte und neueste Streich des Kristjan Järvi Sound Project, das 2014 initiiert wurde und Aufnahmen aus dem weitreichenden musikalischen Betätigungsfeld Kristjan Järvis mit verschiedenen Klangkörpern versammelt.
Das MDR Sinfonieorchester, das Järvi seit der Spielzeit 2012/13 als Chefdirigent leitet, beweist auf Parallel Tones eindrücklich die geforderte Bandbreite. Järvi wird mit dieser Einspielung seinem Ruf für außergewöhnliche Programme zwischen Tradition und Moderne gerecht. Die originelle Mischung aus europäischer und amerikanischer Musikkultur erscheint nur auf den ersten Blick bewusst disparat. Zwischen Strauss und Ellingtons Kompositionen liegen zwar knapp fünfzig Jahre, inhaltlich sind sich die Tondichtungen auf das häusliche Leben und die alltäglichen Eindrücke aus Harlem aber gar nicht so fremd.
Und das am Schluss stehende Præludium von Strawinsky? Eine gewagte Kombination? Eher eine stimmige Ergänzung des szenenhaften, mitunter karikaturistisch überspitzen Komponierens von Strauss und Ellington. Die Sinfonia domestica beginnt flott und wechselt nicht ins Lyrische. Järvi bleibt in seiner Strauss-Interpretation auf dem Boden der Tatsachen. Eine wohldosierte Portion Leidenschaft, aber kein Rausch ist zu hören – höchstens im Finale. Das ist vermutlich nötig, um nicht die Transparenz und die wie im Scherenschnitt fein gearbeitete Instrumentation der Sinfonia domestica zu verfehlen. Diese instrumentatorischen Kniffe, die das Episodenhafte der Tondichtung unterstreichen, klingen rau, immer virtuos und manchmal fast zu gläsern. Dadurch ist aber eine ungemein differenzierte Klangbalance sowohl in den lauten Passagen möglich wie auch in den perlenden und filigranen Bläsersoli des zweiten Satzes.
Klingt die schiere Masse des Orchesters bei Strauss noch gezähmt, so bahnt sie sich ihrer Energie in A Tone Parallel to Harlem unaufhaltsam ihren Weg. Dirigent und Orchester lassen sich mitreißen von dieser mal süffigen, lieblichen, mal aggressiv-tumultartigen Musik. Es geht immer noch eine Stufe intensiver, noch lebendiger, noch wilder, bis die Musik nach dem Schlagzeugsolo in eine ekstatische Klangfülle mündet. Für die Dramaturgie dieser CD zuträglich kommt nach diesem Gewaltakt zum Schluss noch locker und nonchalant das Præludium von Strawinsky. Das Album endet quasi mit einem Augenzwinkern. American way of life und europäische Tradition – mit Järvi und dem MDR Sinfonieorchester geht das.
Desiree Mayer