The John Adams Edition

Berliner Philharmoniker BPHR 170141, 4 CDs/2 Blu-ray/Download/Studio Master/Audio Files/ 7-Day Digital Concert Hall Voucher

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berliner Philharmoniker
erschienen in: das Orchester 04/2018 , Seite 68

Die legendäre Rückschrittlichkeit der Berliner Philharmoniker in punkto Repertoire ist Geschichte. Seit der Ära Abbado hat die Gegenwart in der Programmplanung des Orchesters einen Platz gefunden, und auch Abbados Nachfolger Simon Rattle hält diesen Platz frei. Rattles Präferenzen allerdings zielen ziemlich deutlich am ästhetischen Diskurs vorbei, der in diesem Land geführt wird, ob in der Fachpresse oder bei Neue-Musik-Festivals. Und so ist in der Saison 2016/17 nicht etwa Mark Andre oder Beat Furrer oder Helmut Lachenmann, sondern der US-Amerikaner John Adams zum ersten Composer in Residence der Rattle-Ära gekürt worden. Das bequeme Schlagwort „Minimal Music“, das oft genug ein Schimpfwort war, greift bei Adams allerdings noch weniger als bei anderen. Tatsächlich bestärkt auch die opulente John-Adams-Edition der Berliner den Eindruck, dass Adams schon in frühen Werken wie der Harmonielehre und dem populären Short Ride in a Fast Machine (beide Mitte der 1980er, in Berlin dirigiert von Alan Gilbert und dem Komponisten) nicht Reduktion, sondern das glatte Gegenteil im Sinn hatte. Die rhythmischen Repetitionen dienen nicht der Konzentration, sondern der Steigerung, sie sind das Fundament einer lustvollen, optimistischen, extrovertierten und vor allem: durch und durch glamourösen Musik. Glamour ist denn auch bis heute Adams’ eigentliches Markenzeichen, und im Laufe der Zeit schälen sich dann die wahren Vorbilder dieses Komponisten heraus: Sie heißen we­der Reich noch Glass, sondern Gersh­win, Goodman, Copland, Bernstein, Ellington. Ganz deut­lich gehören auch je­ne Kollegen dazu, die für Hollywood in den 1940er und 1950er Jahren die großen Filmscores geschrieben haben.
Adams konnte nie etwas anfangen mit der klinischen White-Cube-­Atmosphäre der New Yorker Szene. Werke wie das 2009 entstandene Ci­ty Noir bringen die Philharmoniker stattdessen in den glitzernden Ballroom, und das muss man Adams nun lassen: So lässig und elegant, wie er den riesigen Instrumentenapparat bewegt und ihm jede Schwere nimmt – das hat Klasse. Seine Neu­interpretation des alten Nachtstücks: Kaum ein anderer kann das Licht so schön schummrig runterdimmen.
Gewiss, das alles kratzt nur an Oberflächen. Diese Musik wird nirgends zur „existenziellen Erfahrung“ (Lachenmann), zwingt nicht zur Re­flexion. Auch die harmonischen Komplexitäten, die sich in späteren Jahren ergeben (Oster-Oratorium The Gospel According to the Other Mary!), sind kaum mehr als gute Würze. Das Tragische rührt allenfalls, aber erschüttert nicht.
Aber: Man kann mit dieser Musik, mit diesem John Adams eine ziemlich gute Zeit verbringen, wie das so schön heißt, und man kann beim Rückblick auf die Berliner Saison nur staunen, wie cool auch das alte Orchester klingt und wie frei es spielt, wie es groovt und swingt und sich nicht gängeln lässt vom konventionellen Notentext mit seinen öden Taktrastern. Mitunter möchte man meinen, die Philharmoniker würden improvisieren. Allerhand.
Raoul Mörchen