Debussy, Claude
The Edgar Allen Poe Operas: La Chute de la Maison Usher / Le Diable dans Beffroi
Göttinger Symphonie Orchester, Ltg. Christoph-Mathias Mueller
Unerschöpflich ist die Zahl an unvollendeten Opern oder Singspielen der Musikgeschichte, und unter den Namen der Erblasser, also der Komponisten solcher Fragmente, finden sich sogar die bedeutendsten der Gattung: Mozart, Weber, Wagner, Puccini, Strauss und Berg. Dass es Musiker nachfolgender Generationen reizt, auf der Basis von Bruchstücken aufführbare Versionen zu erstellen wie im vorliegenden Fall der Engländer Robert Orledge für zwei Poe-Opern von Debussy, erscheint nachvollziehbar. Es ist besonders plausibel, wenn etwa nur das Finale der Oper fehlte, so etwa bei Puccinis Turandot (ergänzt von Franco Alfano 1926, neuerlich von Luciano Berio 2002) oder Bergs Lulu (Friedrich Cerha 1979). Ein besonderes Beispiel war Webers Buffa-Oper Die drei Pintos, für die dem jungen Mahler nur Manuskripte von sieben Vokalparts zur Verfügung standen und die dennoch nach der Leipziger Uraufführung von 1888 ein Publikumserfolg wurde.
Dass Claude Debussy außer seinem Meisterwerk Pelléas et Mélisande von 1902 der Anti-Wagner-Oper, die doch auch Verwandtschaft mit Tristan und Isolde zeigt und einer frühen, nicht voll orchestrierten Oper Rodrigue et Chimène (rekonstruiert von Edisson Denissow 1993) noch Weiteres hinterließ, macht neugierig. Nach dem New Yorker Erfolg mit Pelléas 1908 beauftragte ihn die Met mit zwei Opern auf der Basis von Kurzgeschichten Edgar Allan Poes. Ab 1902 arbeitete Debussy an Le Diable dans le Beffroi und ab 1908 an La Chute de la Maison Usher, die Libretti erstellte er selbst. Doch sein Krebsleiden und sein Tod 1918 verhinderten die Vollendung.
Zwar haben seit den 1970er Jahren mehrere Komponisten, insbesondere Juan Allende-Blin, Debussy-Fragmente bearbeitet, doch Orledge und Christoph-Mathias Mueller kommt das Verdienst zu, den von Debussy vorgesehenen Doppelabend mit Der Untergang des Hauses Usher und Der Teufel im Glockenturm als Uraufführung 2013 in der Stadthalle Göttingen mit dem überzeugenden Symphonieorchester der Stadt und ausgezeichneten Solisten realisiert zu haben.
Bei Usher entwickelt sich nach einem kurzen, doch in Debussy-Farben schillernden Vorspiel ein 50-minütiger, höchst dramatischer Ablauf, der von tiefen Männerstimmen dominiert wird. Natürlich kommt auch das musikalische Geschehen zum fulminanten Höhepunkt, wenn wie es heißt: unter einem blutroten Mond die Mauern des Hauses einstürzen.
Leichter, ja geradezu mozartisch heiter auch dank lyrischer Chorpartien wirkt die andere, 37 Minuten lange Kurzoper. Gemäß Booklet konnte Orledge hier auf wenige Skizzen zugreifen, sodass er möglicherweise nach eigenen Vorstellungen bewusst einen Kontrast zur Dramatik des längeren Stücks schaffen wollte.
Alle überlieferten Skizzen griffig zu dokumentieren wäre wohl wichtiger und interessanter gewesen als die Übersetzungen des französischen Textes. Dennoch ist diese Doppel-CD sehr bemerkenswert.
Günter Buhles