Dmitri Schostakowitsch
The Complete String Quartets
Quatuor Danel
Das renommierte Quatuor Danel mit Marc Danel und Gilles Millet (Violinen), Wlad Bogdanas (Viola) und Jowan Markowitsch am Violoncello ist wohl das einzige Streichquartett-Ensemble, das innerhalb von 20 Jahren zweimal den gesamten Zyklus der 15 Streichquartette (plus zwei Stücke aus Op. 29 sowie das wenig gehörte, unvollendete Quartett Es-Dur) von Schostakowitsch eingespielt hat. Seitdem gelten diese als Referenzaufnahme für andere Ensembles der neueren Zeit.
Bereits im Frühjahr 2022 setzten die vier Streicher ihren Wunsch einer erneuten Einspielung um – wohl nicht nur mit Blick auf den baldigen 50. Todestag des sowjetischen Komponisten, sondern weil es nach Ansicht des Konzertmeisters und Gründers „in Sachen Schostakowitsch keinen Stillstand“ gebe. „Die Auseinandersetzung mit dieser Musik ist wie ein Gral – die Suche und das Experimentieren mit neuen Dingen nehmen kein Ende.“ Diese und noch mehr überaus bemerkenswerte Informationen über deren Auseinandersetzung mit den Werken sind im beigefügten, mit 80 Seiten ansehnlich starken Booklet unter dem Titel „Mission Schostakowitsch“ nachzuspüren. Darin nehmen die Spieler die Gelegenheit wahr, dem Leiter des Konzertbüros am Gewandhausorchester Leipzig, Tobias Niederschlag, mit ihren Erfahrungen und Erlebnissen Rede und Anwort zu stehen und auch ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern.
Seit Langem folgt das Ensemble dem Vorbild des berühmten Borodin-Quartetts – galt doch dessen Interpretation lange als das Maß der Dinge –, das wiederum vom Beethoven-Quartett, Widmungsträger vieler Streichquartette Schostakowitschs, manches abhörte. Mikhail Kopelman, ehemaliger Primarius des Borodin-Quartetts, hatte die vier Musiker „mit großer Freude“ eine Zeitlang unterrichtet und verfolgt bis heute ihre „Forschungsreise“.
Beim Hören wird dieser Einfluss rasch deutlich. Mit tiefem Ernst, klarer Stimmführung, sehr einfühlsam, mit tiefsinniger Leidenschaft und dem typischen sardonischen Lächeln, spielen sich die vier durch den Kosmos aller Streichquartette, in dem es wirklich stets Neues zu entdecken gibt. Vergleicht man die Einspielung des legendären Borodin-Quartetts aus den 1969er und 1970er Jahren, so hat sich zwar die Aufnahmequalität gesteigert, aber nicht die damals unmittelbar gelebte Aktualität. Jedoch vergrößert das Quatuor Danel bei seiner Interpretation der Werke die Brennweite, die Tempi werden dadurch insgesamt etwas ruhiger, es arbeitet – und das noch mehr als das sowjetische Ensemble – die Strukturen schärfer heraus und steigert damit sehr deutlich die teils sarkastische, teils leidvolle Aussage jeder Phrase. Herausgekommen ist eine unter die Haut gehende, erschütternde, schneidende und schmerzvolle Interpretation.
Werner Bodendorff