Wagner, Richard
The Colón Ring
plus documentary: The Colón Ring Wagner in Buenos Aires
Es geht hier nicht (nur) um die Dokumentation einer Ring-Produktion aus Buenos Aires, es geht um etwas ganz Grundsätzliches: Kann man den Ring des Nibelungen inhaltlich sinnvoll und musikalisch vertretbar auf weniger als die Hälfte der Spieldauer kürzen? Der als Liedbegleiter renommierte Pianist und Produzent Cord Garben hat eine Fassung vorgelegt, die sogar von Katharina Wagner, einer der beiden Bayreuther Festspielleiterinnen, akzeptiert wurde. Sie wollte diese Version, bei der die Musik auf sieben Stunden gekürzt wurde, ihrer Ring-Inszenierung am Teatro Colón in Buenos Aires zugrunde legen; und zwar sollte alles an einem Tag gespielt werden.
Kurz vor Probenbeginn ist Katharina Wagner allerdings aus dem Projekt ausgestiegen. Als Retterin in der Not hat sich Valentina Carrasco, Mitglied der Theatergruppe La Fura dels Baus, bereit erklärt, die Regie in den längst fertiggestellten Bühnenbildern von Frank Philipp Schlößmann zu übernehmen. Sie verlegt die Handlung des Ring in die Zeit der argentinischen Militärdiktatur der 1970er Jahre, in der viele Kinder ihren Eltern entrissen wurden. Für sie ist das Rheingold also ein Säugling, der den Rheintöchtern hier eher Rheinmüttern geraubt wird. Für den weiteren Verlauf dieses wenig schlüssigen Konzepts hat dies dann allerdings kaum noch Bedeutung. Das Orchester unter Leitung von Roberto Paternostro spielt ordentlich, oft aber zu wenig differenziert und ohne den notwendigen großen Bogen. Auch die Solisten, u.a. die ehemalige Bayreuth-Brünnhilde Linda Watson, sind nur gehobenes Mittelmaß, wegen derer man sich diese Aufnahme nicht beschaffen muss.
Und die drastisch gekürzte Fassung von Cord Garben? Er kürzt nicht nur bei rückblickenden Erzählungen oder sinngleichen Textwiederholungen, nein, es werden ganze Rollen gestrichen. Was bei kleineren Rollen und bei Waltraute ja noch zu verschmerzen ist, wird bei Erda aber inhaltlich schon problematisch: Ohne ihren Appell hätte Wotan wohl kaum den Ring den Riesen überlassen.
Neben anderen inhaltlichen Ungereimtheiten gibt es aber auch ein musikalisches Problem. Garben schildert auf der Dokumentations-DVD zwar stolz, dass bei den Kürzungen nicht mehr als ein Dutzend Töne geändert wurden. In der Tat wirken die Übergänge meist organisch und fließend. Es gibt im Ring aber eine ganze Reihe musikalischer Highlights, derentwegen die Zuschauer schließlich da sind. Und diese Passagen, wie z.B. weite Teile des Duetts Sieglinde/Siegmund oder Siegfrieds Schmiedelieder, kann man nicht einfach weglassen. Hier sieht man, dass bei Kürzungen dieses Ausmaßes das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Und kurz wurde die Ring-Vorstellung in Buenos Aires an einem Tag ja auch nicht gerade: Bei sieben Stunden reiner Spieldauer plus den notwendigen Pausen wurde daraus leicht eine tagesfüllende Angelegenheit.
Wenn dieser Colón-Ring doch etwas Positives hat, dann ist es die Erkenntnis, dass behutsame Kürzungen bei den einzelnen Ring-Abenden durchaus vorstellbar sind, aber auf keinen Fall alles an einem Tag gespielt werden kann.
Thomas Lang


