Carl Maria von Weber
The Clarinet as Prima Donna
Roeland Hendrikx (Klarinette), Staatsorchester Rheinische Philharmonie, Ltg. Michel Tilkin
Carl Maria von Weber komponierte seine beiden Konzerte für Klarinette und Orchester – Nr. 1 in f-Moll op. 73 und Nr. 2 in Es-Dur op. 74 – 1811 für Heinrich Joseph Baermann, den größten Klarinettenvirtuosen der frühen romantischen Epoche. Das war damals hochmoderne Musik – aber zumindest beim ersten Konzert griff Weber noch auf einen älteren Ansatz zurück, indem er seinem Solisten nur ein melodisches Gerüst zur Verfügung stellte, das dieser selbst mit Verzierungen und Umspielungen ausfüllen durfte. 1868 veröffentlichte Baermanns Sohn Carl, der seinem Vater als Erster Klarinettist der Münchner Hofkapelle gefolgt war, dann eine Version der Solostimme, wie sie Baermann Senior gespielt haben soll und die seitdem die gängige ist. Diese neue CD enthält nun beide Konzerte, das erste in der eigens entstandenen Überarbeitung des bewährten Arrangeurs und Komponisten Andreas N. Tarkmann. Dieser legte sowohl Webers Original als auch die von Baermann Junior ergänzte Fassung zugrunde, füllte aber außerdem verbliebene Leerstellen, und vor allem schrieb er im Schluss-Rondo ab Takt 120 eine neue und ausführlichere Solokadenz.
Nach den beiden Solokonzerten kommt noch je eine Zugabe. Die eine ist die zentrale Arie der Agathe Leise, leise, fromme Weise aus Webers erfolgreichster Oper Der Freischütz, frei für Klarinette und Orchester bearbeitet von Tarkmann, die andere sind Webers Variationen op. 33 über den Ohrwurm aus seiner frühen Oper Silvana, bei denen Heinrich Joseph Baermann gleichfalls „Mitkomponist“ gewesen sein soll; hier wurde der Klavierpart orchestriert von Rainer Schottstädt.
Der belgische Klarinettist Roeland Hendrikx und das Staatsorchester Rheinische Philharmonie geben ihr Bestes. Aber statt die Opulenz von Carl Baermann zu bekämpfen, zu dessen Zeiten sich der Geschmack gegenüber der Vätergeneration gewandelt hatte, wird sie von Tarkmann mit noch mehr Noten überwuchert. Die Nachkomposition der Arie wirkt übertrieben verziert und ungeschickt umgestellt. Die Tempi sind teils starr, teils gedehnt bis zur Zeitlupe. Der gleichfalls belgische Dirigent Michel Tilkin tritt bei Passagen im Forte oder gar Fortissimo oft auf die Dynamik-Bremse. So können die erfreulichen Qualitäten des Koblenzer Klangkörpers nur bedingt zur Geltung kommen, etwa die schöne Durchsichtigkeit und die flexible Aufgeschlossenheit. Das wird einem der ältesten Orchester Deutschlands, dessen Ursprünge auf das Jahr 1654 zurückgehen, wenig gerecht. Vor allem verfehlt die Silberscheibe weitgehend ihren selbstgestellten Anspruch, Webers Klarinettenwerke aus dem Geist der Oper neu zu entdecken. Das Ganze bleibt immerhin ein spannender Diskussionsbeitrag.
Ingo Hoddick