Britten, Benjamin

The Cello Suites

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Orfeo C 835 111 A
erschienen in: das Orchester 11/2011 , Seite 79

Als Benjamin Britten in den 1960er Jahren seine drei Suiten für Cello solo fertigstellte, hatte er längst seinen Weg abseits der Alt- versus Neu-Dogmen der Musikszene jener Zeit gefunden. Wie viele andere Komponisten zog er Formen und Regeln der Wiener Klassik und des Barocks heran und spürte ihnen mit modernem Blick nach. Das Ergebnis dieser modernen Distanz war Dekonstruktion künstlich geschaffener Normen statt Konstruktion neuer künstlerischer Norm.
In der Opernwelt führte diese Dialektik Britten zu schillerndem Erfolg. Der Sommernachtstraum wurde wortwörtlich zur traumhaft-assoziativen Entführung durch die Historie. Das Instrumentalwerk wird daneben zwar weniger rezipiert, unter Cellisten sind die Suiten aber mittlerweile bekannt für ihren Erfindungsreichtum und als Hommage an die wohl berühmtesten Werke für Cello, die Bach-Suiten.
Der für seine Akribie und zurückhaltende Tongebung gefeierte Daniel Müller-Schott faltet in seiner Interpretation die Romantik der Suiten breit aus. Mit großem Bewusstsein für dramaturgische Form schlägt der junge Cellist weite Bögen. Seine variantenreiche Phrasierung hört sich als nervöse Bogenführung, die den assoziativen Charakter des Stücks wortwörtlich herausstreicht. Die Suiten klingen in der Einspielung, als lausche man den Gedanken eines Cellos selbst, das sich seiner melodiösen Ausdruckskraft wohl bewusst ist, aber nie die Assoziation für starre Melodiemuster hergibt. Diese Spielweise betont den assoziativ zitierenden Kompositionsprozess Brittens und stellt in diesem Aspekt einen Kontrapunkt zur Interpretation Rostropowitschs dar, dem Britten die Suiten widmete.
Rostropowitschs Interpretation legt stärkeren Wert auf die dissonanten Qualitäten und harmonische Vielfalt der Stücke. Während der russische Meister die Marcia der ersten Suite zum Beispiel mit klarer Tonsprache und Betonung der harmonischen Feinheiten interpretiert, klingt sie bei Müller-Schott anfangs fern, dann deutlich ruppiger. Müller-Schott fokussiert damit stärker dramaturgische Bögen denn Harmonien.
Die erste der Suiten ist mit ihrem wiederkehrenden Canto die am wenigsten assoziative, dafür aber auch die am leichtesten greifbare. In der zweiten Suite bilden Intervalle – im Declamato beispielsweise die Quart-Tritonus-Kombination oder später angefangene und zurückschreitende Tonleitern und Skalen – das wiederkehrende Element. In der letzten Suite überwiegt das Wiederaufgreifen bestimmter Bezugstöne und Harmonien.
Vor allem im Scherzo der zweiten Suite mit seinen vielen Pausen, geschmetterten Bögen und hohem Register wird jedoch eine Schwäche der CD besonders hörbar: Der Hall zugunsten einer physischeren Räumlichkeit stört die Natürlichkeit des Celloklangs. Ungeschnittene Atemzüge tun dazu ihr Übriges und lassen die Klangqualität ins Affektierte sinken.
Der Einspielung tut das nur auf technischer Ebene einen Abbruch. Insgesamt eine virtuose Interpretation, die eben nicht übertrieben pathetisch, sondern im besten neoklassizistischen Sinne assoziativ improvisierend klingt.
Vera Salm