Rachmaninov, Sergei

The Bells/Symphonic Dances

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Warner Classics 50999 9 84519 2 0
erschienen in: das Orchester 11/2013 , Seite 79

Bei Rachmaninov fallen einem immer gleich die Bosheiten ein, die Richard Strauss, Igor Strawinsky, George Bernard Shaw, Theodor Adorno und andere über diesen eh nicht mit übertriebenem Selbstbewusstsein ausgestatteten Komponisten ausgeschüttet haben. Ein „Vulgärtöner“ wurde
er genannt, der „gefühlvolle Jauche“ für „infantile Erwachsene“ produziere. Aber die Zeit fällt auch hier ihr Urteil, und gerade in Verbindung mit der vorliegenden CD könnte man kaum minder maliziös entgegnen: „Errare Adornum est…“
Insbesondere Rachmaninovs letztes Werk, die Symphonischen Tänze von 1940, weisen ihm einen rechtmäßigen Platz unter den großen Symphonikern zu! Die Partitur ist bei aller Klarheit und Durchsichtigkeit von einem berauschenden Farbenreichtum und resümiert gleichsam noch einmal das ganze Genie des Meisters. Das amerikanisch-spätromantische Idiom ist durchsetzt mit Reminiszenzen an seine russische Herkunft. Simon Rattle und seine Berliner Philharmoniker musizieren nicht einfach nur adäquat, sondern lassen diese Preziosen so lustvoll blitzen und funkeln, wie es vor ihnen bisher nur Kirill Kondraschin mit den Moskauer Philharmonikern in der legendären Aufnahme von 1963 vermochte: Es wurde höchste Zeit, dieses Werk wieder einmal so brillant aufzupolieren!
Das 1913 in Rom entstandene Poem für Solisten, Chor und Orchester Die Glocken zählt ebenfalls zu den bedeutenderen Werken Rachmaninovs. Es fußt auf einer Dichtung von Egdar Allan Poe in der russischen Übersetzung des symbolistischen Exildichters Konstantin Balmont. Inhaltlich geht es darin um vier Lebensstationen, deren jede durch einen bestimmten Glockenklang symbolisiert wird: Den silberhellen Glocken des ersten Satzes, die für Kindheit und Jugend stehen (Tenor), folgen im zarten zweiten Satz die Hochzeitsglocken (Sopran), diesen wiederum die Alarmglocken und am Schluss die Totenglocken (Bass). Für die Soloparts stehen ausschließlich Weltklassesolisten zur Verfügung, deren jeder sich seines schwierigen Parts mit Bravour entledigt. Das gilt insbesondere für die slowakische Sopranistin Luba Orgonášová, deren Stimme immer noch durch einen völlig unverbrauchten Klang fasziniert, ganz wie in „alten“ Zeiten. Die Qualität des Berliner Rundfunkchors ist wieder einmal über jeden Zweifel erhaben, und Simon Rattle erweist sich einmal mehr als glänzender Virtuose auf der Klaviatur des gewaltigen Orchesterapparats, der in dieser Komposition zum Einsatz kommt. Vielleicht hatten die eingangs genannten Nörgler lediglich nicht das Glück, die von ihnen jeweils bemängelten Werke in Aufführungen von solcher Pracht erleben zu dürfen!
Friedemann Kluge