Adès, Thomas
Tevot/Violinkonzert/Three Studies from Couperin/Dances from “Powder her Face”
Der 1971 geborene britische Komponist, Pianist und Dirigent Thomas Adès gehört nicht nur in England zu den profiliertesten Musikern seiner Generation. Eine besonders intensive Beziehung pflegt er mit Simon Rattle, der Adès Asyla nicht nur mit seinem City of Birmingham Symphony Orchestra 1997 uraufführte und damit den Durchbruch des Komponisten unterstützte, sondern das Orchesterwerk an prominenter Stelle bei seinem ersten Konzert als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker ansetzte. 2007 sorgten die Berliner zudem für die Uraufführung von Thomas Adès gewichtigem Orchesterstück Tevot als gemeinsames Auftragswerk mit der New Yorker Carnegie Hall. Der von Rattle souverän geleitete Uraufführungsmitschnitt von Tevot der Begriff stammt aus dem Hebräischen und kann sowohl die Takte der Musik als auch biblische Archen wie das die Menschheit rettende Boot Noahs, aber auch die Bundeslade bezeichnen zeigt die bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geforderten Berliner in bestechender Form.
Das rund 22-minütige Orchesterstück setzt, getragen von einem gewaltigen spätromantischen Orchesterapparat, auf gewaltige Kontraste in Dynamik, aber auch der höchsten und tiefsten Lagen der Instrumentengruppen ebenso wie der emotionalen Spannweite der Musik. Bei aller Komplexität haftet der Partitur nichts Avantgardistisches an. Adès nutzt den Fundus der Musikgeschichte von Wagner über Mahler, dessen Definition der Sinfonie, mit allen musikalischen Mitteln eine Welt zu erschaffen, einem durchaus in den Sinn kommen kann, hin zu Strawinskys prononcierter Rhythmik, Ligetis Klangflächen, aber auch eines erweiterten Minimalismus, mit dessen Patterns der Komponist souverän spielt. Dass Tevot auch Züge einer gewaltigen Filmmusik trägt, kommt in der Interpretation von Rattle und den souveränen, von den höchsten Lagen der Violinen über die ebenfalls in Stratosphärenhöhen geforderten Blechbläser bis zur tiefsten Bassgewalt konzentriert agierenden Berliner Philharmonikern zumindest unterschwellig zum Tragen.
Als Dirigent eigener Werke ist Thomas Adès bei dem für Anthony Marwood geschriebenen Violinkonzert Concentric Paths sowie den Drei Couperin-Studien am Pult des aufmerksamen Chamber Orchestra of Europe zu erleben. Mit dem flexiblen Geiger Marwood verbindet Adès nicht nur als Komponist und Dirigent eine enge Zusammenarbeit, auch als Pianist hat er mit der Gesamteinspielung aller Werke Strawinskys für Violine und Klavier jüngst ein überzeugendes Beispiel dieser Partnerschaft vorgelegt. Das äußerlich dreisätzige, innerlich aber eher kreisförmig angelegte Violinkonzert zeigt Parallelen zu Adès Oper The Tempest von 2004, wobei der Solist mit seinen atemberaubenden Höhenlagen an den Ariel der Oper erinnert. Das Chamber Orchestra of Europe agiert hier ebenso überzeugend wie bei den differenziert instrumentierten Couperin-Studien. An den großen Erfolg von Powder her Face erinnern zudem Ouvertüre, Walzer und Finale der Kammeroper, die Adès für großes Orchester eingerichtet hat, die hier von Paul Daniel und dem National Youth Orchestra of Great Britain wirkungsvoll aufgeführt werden.
Walter Schneckenburger