Georg Philipp Telemann

Telemann grenzenlos

Bremer Barockorchester, Ltg. Néstor Fabián Cortés Garzón

Rubrik: CDs
Verlag/Label: arcantus arc 22032
erschienen in: das Orchester 9/2023 , Seite 72

Die Windmaschine steht zwar nicht in der Partitur, passt aber wunderbar in den erfrischenden und dramatischen Gesamtklang von Telemann grenzenlos. So nennt das Bremer Barockorchester seine zweite CD-Veröffentlichung beim Label arcantus und deutet damit nicht zuletzt auf die unermesslichen Weiten des Werks von Telemann hin. Mit rund 1000 Kompositionen gilt Georg Philipp Telemann als einer der produktivsten Komponisten des Barocks. Allein 126 Orchester-Suiten schrieb Telemann. Einige davon sind programmatisch und durchaus musikmalerisch.
So widmet sich das Bremer Barockorchester auf dem neuen Album der Ouverture-Suite C-Dur TWV 55:C3 Wassermusik. Hamburger Ebb’ und Fluth, die der Komponist als Städtischer Musikdirektor für die Hamburgische Admiralität schrieb. Der Marinestab wurde gegründet, um Handelsschiffe vor Piratenangriffen zu schützen und sein hundertjähriges Bestehen wurde 1723 gebührend gefeiert, unter anderem mit der Uraufführung jener Wassermusik, in welcher Telemann neben dem Seestück auch Figuren der Mythologie musikalische Gestalt verleiht. Da ist die schlafende Thetis in eine friedvolle Sarabande gebettet und der verliebte Neptun wiegt sich in einer langsamen Loure. Das Bremer Barockorchester erschafft hier vielseitige Klangfarben und betont unter der Leitung von Néstor Fabián Cortés Garzón vor allem den tänzerischen Charakter der Sätze. Auch aufs Musikmalerische legt die Interpretation Wert. Der stürmische Seegang kommt dabei dank der besagten Windmaschine extrem eindrücklich rüber. Kurzum glückt dem 2015 gegründeten Ensemble bestens, Telemann historisch-informiert und lebendig gleichermaßen zu musizieren.
Mit besonderer Präzision und in einem schön abrundenden Gesamteindruck ist das Konzert für Viola da Gamba und Blockflöte a-Moll TWV 52:A1 interpretiert. Das Bremer Barockorchester lässt die beiden Solistinnen Lina Manrique und Annika Fohgrub nicht zu stark aus dem übergeordneten Klang des Ensembles heraustreten. Das um 1730 entstandene Werk ist ein eindringlicher Beweis für Telemanns feinsinnige Art, aus dem französischen und dem italienischen einen deutschen Stil zu formen. Anstatt der üblichen drei hat das Konzert vier Sätze, von denen der letzte Allegro mit pfiffigen Accelerandos gestaltet ist.
Als abschließendes Werk ist auf der CD die Ouverture-Suite in B-Dur TWV 55:B5 Les Nations versammelt. Inwiefern Telemann auch hier programmatisch komponiert hat, ist nicht eindeutig überliefert. Die Sätze sind nach Portugiesen, Türken, Schweizern usw. benannt. Ihre Musiken tatsächlich jeweiligen Nationalitäten zuzuordnen, fällt jedoch schwer. Das Komponieren nach Folklore steckte im Barock noch in den Kinderschuhen und trotzdem machte Telemann hier wohl Gehversuche: Telemann grenzenlos!
Sven Scherz-Schade