Grützmacher, Friedrich Wilhelm
Technologie des Violoncellospiels
Vierundzwanzig Etüden für Violoncello solo op. 38
Wie gern hätten wir sie einmal spielen hören, jene Meistercellisten des 19. Jahrhunderts, deren Namen für alle nachfolgenden Kollegen einen besonderen, aus Bewunderung und Schauder (angesichts endloser Übestunden) zusammengesetzten Klang bewahrt haben: Dotzauer, Kummer, Cossmann, Grützmacher, sie alle schrieben gleichermaßen wertvolle wie schweißtreibende Studienwerke von unbegrenzter Haltbarkeit. Aus diesen ragt Friedrich Grützmachers Technologie des Violoncellospiels op. 38 insofern hervor, als hier im Rahmen von 24 progressiv geordneten, teilweise sehr umfangreichen Etüden Übematerial für den Bereich von der Mittelstufe (Spiel in der 1. bis 7. Lage, Doppelgriffe, Triller, Grundstricharten) bis hin zu exorbitanter Artistik geboten wird. Zumindest die Etüden Nr. 18 bis 25 übersteigen in ihren Ballungen technischer Schwierigkeiten alles, was die Cellovirtuosenzeit zumindest hierzulande ansonsten hervorgebracht hat, inklusive selbst Poppers Hoher Schule, zumal dort anders als bei Grützmacher pro Etüde immer nur ein technisches Problem fokussiert wird.
Nach Solistendebüt und ersten Berufsjahren in Leipzig ging Grützmacher 1860 nach Dresden, wo er bis zum Lebensende blieb und erfolgreich als Solist, Komponist und Pädagoge wirkte. In diese Zeit fällt die Erstpublikation der Etüden op. 38, aufgeteilt in zwei Bände (Abtheilungen) à 12 Etüden, wobei ab Etüde Nr. 13 die Daumenlage mit ins Spiel kommt. Diese Einteilung findet sich auch in der von Julius Klengel um 1900 edierten, heute noch greifbaren Wiederauflage, während vorliegende Neuedition das Werk in einem Band präsentiert, da so Herausgeber Martin Rummel in heutiger Unterrichtspraxis die Einführung des Daumens früher erfolge als ehedem und sich die Schwierigkeiten der zweiten Abtheilung auch nicht allein hieran festmachen ließen.
Grützmacher hat seine Etüden akribisch bezeichnet. Leider erhellt vorliegende Ausgabe nicht, ob Klengels Version alle Bezeichnungen des Originals übernommen hat, doch zeigt sich im Vergleich zu Klengel die editorische Handschrift Rummels: In einem umfangreichen Textband nimmt der Herausgeber Stellung zu jeder Etüde und erläutert die Gründe für seine Abweichungen. Sie liegen generell in Veränderungen vieler als veraltet oder theoretisch angesehener Ideen zugunsten größerer Praktikabilität für heutige Cellisten. Seine auf Etüde Nr. 14 bezogene Anmerkung, hier seien Fingersatzvorschläge eingefügt [worden], wie sie zu einem möglichen Konzertgebrauch verwendet würden, verdeutlicht die Herangehensweise. Dem Problem der Texttreue begegnet er mit dem Argument, im Falle von Studienwerken gehe es lediglich um respektvolle Auseinandersetzung mit den pädagogischen Gedanken des Verfassers. Diese gelte es, ins Heute zu übersetzen und somit zu retten. Seinem resümierenden Satz Was für den einen ,falsch ist, mag für den anderen ,richtig sein und umgekehrt ist in diesem Zusammenhang fast nichts hinzuzufügen.
Gerhard Anders