Watkins, Huw

Tarantella / Coruscation and Reflection / Romance

für Violine und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2005
erschienen in: das Orchester 01/2006 , Seite 77

Unter den jüngeren britischen Komponisten macht der 1976 in South Wales geborene Huw Watkins seit geraumer Zeit auch außerhalb seines Heimatlandes auf sich aufmerksam und von sich reden. 2005 wurde eine ganze Reihe von seinen Werken mit großem Erfolg uraufgeführt, andere, wie das Doppelkonzert für Viola, Violoncello und Orchester, sollen ebenfalls noch in diesem Jahr ihre Premiere erleben. Watkins, heute Professor für Komposition am Royal College in London, verfolgt neben der Komponisten- gleichermaßen eine Konzertpianistenkarriere, ist also auch konkurrenzlos authentischer Interpret in eigener Sache.
Vielleicht drängte sich mir deshalb bei der Durchsicht der drei kürzeren Stücke für Violine und Klavier sofort der Eindruck auf, es hier mit einem Komponisten zu tun zu haben, der sich der Wirkung seiner Stücke auf den Konzertbesucher sehr bewusst ist, der gewissermaßen Musik für den Konzertsaal schreibt, in der sich ein Interpret auch effektvoll darzustellen vermag, eine Musik trotz aller Dissonanzen voller sinnlicher Reize, die sich dem Zuhörer unschwer erschließen. Wir haben hier drei wirkungsvolle virtuose Genrestücke vor uns, zumindest zwei davon – Romance und Coruscation and Reflection – erscheinen eindeutig violinzentriert.
Coruscation and Reflection aus dem Jahr 1998 kombiniert ein motorisch-triolisch geprägtes, tarantella-artiges Stück mit einer ausdrucksstarken Meditation, wobei der Geiger in Coruscation zunächst virtuos glänzen kann, um dann in Reflection zu zeigen, was er oder sie alles an Klangfarben „drauf hat“. Die verwendeten kompositorischen Mittel sind eher konservativ, Avantgardistisches bleibt ausgespart. Dies ist ausdrücklich nicht als Werturteil zu verstehen, auch Ligeti hat etwa im Horntrio demonstriert, dass es sehr wohl möglich ist, auf neue Spieltechniken gänzlich zu verzichten und trotzdem große Musik zu schreiben. Tonale, atonale, gelegentlich pentatonische Elemente stehen nebeneinander bzw. sind in den musikalischen Ablauf integriert. Watkins verwendet gerne parallele Quinten als Bestandteil nebeneinander gestellter Dreiklänge, oft in extrem hoher Lage, sodass sich ein Glocken- oder besser gesagt Glöckcheneffekt ergibt. Jazzinspiriert erscheint die Sextenpassage alterierter Quartsextakkorde im Klavier am Ende des ersten Stücks.
Ähnlich in der Tonsprache, allerdings spieltechnisch und vor allem rhythmisch komplizierter angelegt und ausgeglichener in der Balance der Instrumente ist die Tarantella (2002), während die Romance (2003) in Anlage und Motivik wie eine Rückbesinnung auf Reflection anmutet. Hier wie da finden sich kantable, oft synkopisch gehaltene Geigenlinien, begleitet von kurzen Einwürfen rascher Klavierfigurationen.
Allen Stücken gemeinsam ist der gleichsam pragmatische, auf Spielfreude, rhythmische Lebendigkeit und sinnliche Klangreize zielende kompositorische Ansatz, wie wir ihn von amerikanischen Komponisten, etwa Ned Rorem (Day Music, Night Music) oder Curtis Curtis-Smith (Fantasy Pieces) kennen, in manchen Passagen der Tarantella scheinen Ligetis polyrhythmische Strukturen anzuklingen, anderes erinnert mich ein wenig an das Finale von Lutosl/awskis berühmter Partita. Bei allem ist Watkins’ Klangsprache trotzdem persönlich und originell genug, um nirgendwo ein Abgleiten ins Eklektizistische zuzulassen.
Trotz eines gewissen virtuosen Anspruchs dürften die Stücke keinem professionellen Musiker ernsthafte Schwierigkeiten bereiten. Der Violinpart klingt und „liegt“ gut, im Klavierpart fallen eine Reihe sehr weiter Griffe auf (der Komponist muss große Hände haben!), denen im Bedarfsfall allerdings zum Teil durch eine etwas andere Verteilung der Noten auf die Hände beizukommen ist. Edition und Druck sind tadellos.
Herwig Zack