Taraful Foaie Verde

Die Tradition der Lautari

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Edition Hera HERA02123
erschienen in: das Orchester 09/2011 , Seite 83

Diese CD ist auf den Rezensionsseiten dieser Zeitschrift eine echte Exotin, denn Volksmusik liegt üblicherweise außerhalb der Bandbreite klassischen Orchestermusizierens. Die Brücke bei der Aufnahme mit Inst­ru­men­talstücken aus rumänischen Volksmusikgenres schlagen, wie nicht anders zu erwarten, die Interpreten: Die Mitglieder des „Taraful Foaie Verde“ („Grünblatt-Ensemble“) sind im Jazz oder im klassischen Musikbetrieb sozialisiert, spielen also nicht ausschließlich Volkstänze im hinkenden 10/8- oder 7/16-Takt. Drei von ihnen tun sogar ordentlich Dienst im Stuttgarter Staatsorchester oder bei den Stuttgarter Philharmonikern. Aber auch die rumänischen Wurzeln fehlen natürlich nicht: Der künstlerische Leiter des Ensembles, der 33 Jahre junge Sebastian Klein, ist in Baia Mare, ganz im Nordwesten Rumäniens, geboren.
Zunächst einmal nimmt diese CD einem den Atem – mit ihrer Spielfreude, aberwitzigen Virtuosität, packenden Rhythmik, Melancholie und dem Ensemblegeist. Doch was für eine Musik spielt Taraful Foaie Verde da überhaupt? Der Begriff „rumänische Volksmusik“ allein sagt nur wenig aus, denn die rumänische Folklore gibt es nicht. Zahllose Ethnien leben und lebten auf dem Balkan, jede von ihnen mit einer ganz eigenen volksmusikalischen Tradition. Weitergetragen und gepflegt wurde diese interessanterweise oft nicht von den Ethnien selbst, sondern von den Roma (welche sich – politisch unkorrekt – selbst oft lieber Zigeuner nennen), die als Spielleute völkerübergreifend zur musikalischen Ausgestaltung von Festen herangezogen wurden.
Taraful Foaie Verde unterscheidet nun zwischen „rumänischer Folklore“, der „überlieferten Musik der Roma“ und der „Musik der jungen Roma-Generation“. Das klingt zwar nach musikethnologischer Präzision, doch liefert das Ensemble leider nicht die Grundlage für dieses Raster der „drei bedeutenden Richtungen traditionell-rumänischer Musik“. Welches sind die Quellen, die den Arrangements zugrunde liegen? Was davon ist tatsächlich Musik, die die Roma auch für sich selbst spielen? Worin unterscheidet sie sich von der „rumänischen Folklore“?
Diese Fragen mögen beckmesserisch klingen angesichts des lust- und seelenvollen Musizierens von Taraful Foaie Verde. Doch reizen die Erläuterungen im Booklet einfach zum Widerspruch. Was auf dieser fulminanten CD zu hören ist, ist nicht wirklich Volksmusik – aus mehreren Gründen: Die akribische Genauigkeit im Zusammenwirken folgt ganz und gar einem klassischen Ideal, ebenso die Perfektion und Virtuosität von Sebastian Kleins Geigenspiel. Wenn er den Bogen ansetzt, klingt das natürlich auch nach Rumänien – doch ebenso oft nach Sarasate oder Bach. Schlimm ist das alles nicht, Hörer der CD sollten bloß wissen, dass Volksmusik in rumänischen Dörfern denn doch ein wenig anders klingt. Wobei auch Taraful Foaie Verde sich im Konzert sicher noch authentischer anhören. Kein Wunder: Die Aufnahme ist in der Stuttgarter Erlöserkirche entstanden.
Johannes Killyen

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