Wagner, Richard

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Dresdner/Pariser/Wiener Fassung. Klavierauszug nach der Gesamtausgabe

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2012
erschienen in: das Orchester 02/2013 , Seite 63

„Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig“, habe Wagner am 23. Januar 1883, also wenige Wochen vor seinem Tod, seiner Frau Cosima gestanden, so überliefert es ihr Tagebuch. Wagner war Zeit seines Lebens unzufrieden mit seiner großen romantischen Oper – und hat sie nicht zuletzt deswegen immer wieder bearbeitet.
Wer sich heute mit dem Werk beschäftigt, sieht sich vier Stadien der Entstehungsgeschichte bzw. drei Fassungen gegenübergestellt: der Dresd­ner Uraufführungsversion von 1845, die nach Liszts Weimarer Produktion 1849 und sich daran anschließenden Aufführungen an verschiedenen Büh­nen von Wagner mit Ergänzungen 1860 neu gestochen wurde und als „bühnengebräuchliche“ Fassung herauskam. 1861 wurde das Werk, stark erweitert vor allem im ersten Akt, in französischer Sprache und mit einer Uminstrumentierung, orientiert an Tristan und Isolde, an der Pariser Opéra neu herausgebracht. 1867 schließlich fand an der Münchner Hofoper eine (wieder ins Deutsche rückübersetzte) „Musteraufführung“ statt, in die fast alle Neuerungen der Pariser Fassung übernommen wurden. In dieser Fassung wurde das Werk auch an der Wiener Hofoper 1875 in Anwesenheit Wagners neu einstudiert. Für diese Aufführung änderte Wagner noch einmal den Übergang von der Ouvertüre in die Venusbergszene.
Ein Work in Progress. Eine „endgültige“ Fassung letzter Hand liegt nicht vor. Im Rahmen der Richard Wagner-Gesamtausgabe haben die Herausgeber Egon Voss, Peter Jost und Reinhard Strohm in mehr als 30-jähriger wissenschaftlicher Arbeit diese 30-jährige Entstehungsgeschichte des Werks aufgearbeitet. Auf dieser Grundlage hat Wolfgang M. Wagner einen bewundernswerten Klavierauszug herausgegeben, der alle Stadien der Werkgestalt des Tannhäuser zu vergleichen erlaubt.
Die Dresdner, Pariser und Wiener Fassungen liegen damit zum ersten Mal in gesicherter und übersichtlicher Form als Klavierauszug vor. Er ist so angelegt, dass, sobald sich die Fassungen ändern, diese in chronologischer Reihenfolge hintereinander abgedruckt sind. Zwei von Wagner noch vor der Pariser Aufführung verworfene Varianten sind als Anhang beigefügt. Bei Wagners autorisierten Strichen sind die von ihm veränderten Überleitungstakte angegeben.
Tannhäuser ist die einzige Oper, zu der Wagner selbst einen Klavierauszug herstellte. Im Großen und Ganzen ist er vom Herausgeber so übernommen worden. An einigen Stellen wurden Klaviersatz und Pedalanweisungen allerdings reduziert und vereinfacht, um den harmonischen und melodischen Verlauf klarer nachzuzeichnen, was einleuchtet. Ziel dieser Ausgabe ist ja keine die klanglichen Möglichkeiten des Klaviers ausschöpfende Transkription, sondern ein übersichtlicher sowie wissenschaftlich und notensatztechnisch verlässlicher Klavierauszug für die musikalische Praxis. Der liegt nun vor.
Dieter David Scholz