Kalke, Ernst-Thilo

Tango, Mambo et cetera

14 lateinamerikanische Tänze für 3 Violoncelli

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Edition Walhall, Magdeburg 2011
erschienen in: das Orchester 11/2011 , Seite 68

Was möchte uns die riesige Bahnhofsuhr auf dem Einband sagen? Sie steht auf 10 vor 4, die „blaue Stunde“ ist nicht mehr fern, bald öffnen die Tanzlokale von Buenos Aires, Montevideo oder Rio, wir tauchen ab in die gleichermaßen mitreißende wie anrüchige Sphäre des Tangos und anderer lateinamerikanischer Tänze. Freilich sind diese längst zum weltweit populären Kulturgut geworden. Niemand, der heutzutage Tango liebt, muss sich deswegen mit der Halbwelt von Buenos Aires einlassen. Dass schon um 1900 eine erste Welle der Popularität von Argentinien nach Europa herüberschwappte, zeigt der berühmte Tango des Spaniers Isaac Albéniz. Bereits die auf Kuba entstandene Habanera hatte um die Mitte des 19. Jahrhunderts Europa erreicht, als musikalisches Sinnbild lasziver Lüsternheit lebt sie bis heute in Georges Bizets Carmen weiter. Von hier ist es nur ein kleiner Schritt hin zu Albéniz, und die fast ununterscheidbare Ähnlichkeit der Habanera mit dem frühen Tango wird kompositorisch wieder aufgegriffen in Ernst-Thilo Kalkes Tango Habanera, einem von 14 charmanten Kabinettstückchen, die die Edition Walhall hier in einer Version für drei Celli vorlegt.
Der 1924 in Stuttgart geborene Kalke ist ein Routinier alter Schule, oder anders: ein profunder und erfolgreicher Komponist dessen, was ohne jeden pejorativen Beigeschmack Gebrauchsmusik genannt werden mag. Er schrieb und arrangierte für Blas- und Akkordeonorchester sowie für Erwin Lehns legendäre Bigband des Süddeutschen Rundfunks, außerdem komponierte er Kammer-, Chor- und Orchestermusik. Tango, Mambo et cetera liegt auch in Fassungen für drei Violinen sowie für Streichquartett vor. Diese Sammlung südamerikanisch inspirierter Piècen enthält Bearbeitungen des erwähnten Albéniz-Tangos, der Evergreens El Choclo und La Cucaracha, des mexikanischen Traditionals Jarabe Tapatio sowie eine bemüht lustige Adaption von Beethovens Für Elise im Cha-Cha-Cha-Format. Abgesehen von dieser deutschen Humorkeule haben wir es bei Kalkes Originalkompositionen mit einer Sammlung leicht hingeworfener, gekonnt gemachter, attraktiver Stücke zu tun, die außer diversen Tango-Anverwandlungen auch eine Samba, einen Bossa Nova sowie eine Cancion Triste aufbietet.
In punkto Lagenspiel ist der Schwierigkeitsgrad der Stücke nicht allzu hoch: Das 1. Cello muss hier und da ein sauberes b’ und h’ erwischen, Cello II und III bleiben gänzlich innerhalb des unteren Lagenbereichs. Allein dies unterstreicht die Eignung des Bandes für den Instrumentalunterricht. Andererseits repräsentieren die Stücke durchaus die rhythmische Raffinesse lateinamerikanischer Musik in authentischer Form, sodass im Hinblick auf etwaige Steifheiten deutscher Celloschüler der Lerneffekt nicht gering sein dürfte. Eine sympathische Veröffentlichung von nicht zu unterschätzendem Repertoirewert: Allzu viel vergleichbar Gutes gibt’s nicht.
Gerhard Anders