Schostakowitsch, Dmitri
Tahiti-Trott
Tea for Two von Vincent Youmans, op. 16. Faksimile des Partiturautografs. Festgabe zum 60. Geburtstag von Hermann Danuser, hg. v. der Paul Sacher Stiftung
Dreieinhalb Minuten so lange dauert der charmante Tahiti-Trott in der bekannten Chailly-Einspielung von 1993. Dass Schostakowitschs berühmte Bearbeitung des harmlosen Songs von Vincent Youmans dereinst für Verstimmung bei der sowjetischen Kulturpolitik sorgte und den Komponisten kulturpolitisch (mal wieder) erheblich in die Enge trieb, war der Paul-Sacher-Stiftung im Jubiläumsjahr 2006 u.a. Grund genug, in einer ambitionierten Faksimile-Edition über Wesen und Geschichte dieses modernen Klassikers der Unterhaltungsmusik zu berichten. Als Verlagspartner bot sich dazu idealerweise Sikorski aus Hamburg, nach Vorlage der Neuen Schostakowitsch-Gesamtausgabe im vergangenen Jahr, an.
Im Mittelpunkt der Edition steht naturgemäß das zwölfseitige Faksimile im A3-Format von Schostakowitschs endgültigem Partiturautograf aus dem Jahr 1927, das heute von der Paul-Sacher-Stiftung verwahrt wird. Die restlichen 59 (!) Seiten konzentrieren sich in Deutsch und Englisch auf den attraktiven und in jedem Fall spannenden Entstehungskontext. Fünf musikwissenschaftliche Essays informieren umfassend und gut lesbar über Youmans ursprünglichen Song Tea for Two und dessen russische Adaption Tahiti-Trott, über Schostakowitschs Anlass zur Orchestrierung sowie über ideologisch gelenkte kulturelle Konsequenzen, die das kurze Stückchen Musik vor allem für den Komponisten nach sich zog.
Die Darstellungen werden abgerundet von einer musikalischen Analyse und einer gründlichen Quellenbeschreibung, die umso mehr Sinn macht, da der Leser das Autograf gewissermaßen vor sich hat und so insgesamt einen Begriff von Schostakowitschs Arbeitsweise bekommt. Das alles, wie gesagt, wegen dreieinhalb Minuten Musik! Will man den Autoren glauben, war Youmans simpel, aber elegant gestalteter Ohrwurm vom Broadway schon Ende der 1920er Jahre ein weltweiter Hit der Unterhaltungsmusik. Der Anlass für Schostakowitschs Orchestrierung dieses Strophenlieds liegt aber seitdem und gegenwärtig noch immer im Dunkeln.
Anders sieht es bei der späteren Verwendung des Tahiti-Trott aus, den der Komponist in sein Ballett Das Goldene Zeitalter (1930) integrierte und sich dadurch im Nachhinein ziemlich ambivalent aus der Affäre um seine angebliche (im Grunde tatsächliche) Neigung zum längst diskreditierten leichten Genre zog. Besonders diesem Kapitel widmet sich Felix Meyers exzellenter Essay (Ungesunde Erotik). Den Herausgebern geht es somit in der Hauptsache nicht um den Sinfoniker oder den Opernkomponisten Schostakowitsch, sondern um den Verfasser der Jazz-Suiten, Filmmusiken und den übrigen Gelegenheitsarbeiten aus der Branche der Unterhaltungsmusik. Hier hätte Ulrich Mosch in seinem schönen Beitrag unbesorgt noch über die Instrumentierung des Tahiti-Trott hinausgehen und einen kompositorischen Bezug zu vergleichbaren Arbeiten Schostakowitschs herstellen können.
Was Stiftung und Verlag mit dieser prächtigen Edition realisiert haben, ist weitaus mehr als ein bloßer Abdruck von alten Noten. Die Ausgabe richtet sich ganz offensichtlich sowohl an Wissenschaftler als auch an Liebhaber von Schostakowitschs Werk und darf für die einen als Forschungsquelle, für die anderen als echtes Sammlerstück bezeichnet werden.
Tobias Gebauer