Beethoven, Ludwig van

Symphony No. 9/Symphony No. 6 Pastorale/Symphony No. 2

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Music 88697576062/88697542542
erschienen in: das Orchester 03/2010 , Seite 69

Im Festivalsommer 2009 machte Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter ihrem Chefdirigenten Paavo Järvi u.a. bei den Salzburger Festspielen und beim Bonner Beethovenfest Furore mit der Gesamtaufführung aller neun Beethoven-Symphonien. Die liegen nun auch komplett auf CD vor. Zuletzt erschienen zwei CDs mit den Symphonien Nr. 2 D-Dur op. 36 und Nr. 6 F-Dur op. 68 Pastorale sowie der Nr. 9 d-Moll op. 125.
Auch bei diesen im Studio entstandenen Einspielungen wird wieder die sagenhafte technische Virtuosität des Klangkörpers, werden seine Brillanz, Flexibilität und Reaktionsschnelligkeit sowie seine stilistische Offenheit deutlich. Paavo Järvis Beethoven folgt auch bei den Symphonien 2, 6 und 9 Prinzipien der historisch informierten Aufführungspraxis. Er benutzt die Urtextausgabe von Jonathan Del Mar und orientiert sich an Beethovens Metronomangaben. Doch das tun viele seiner Kollegen auch – und das allein macht noch nicht den Ausnahmerang dieser Einspielungen aus. Es kommt viel mehr dazu.
Der Klang ist transparent und außerordentlich luftig, er legt viele selten so klar zu hörende Details offen. Der Gestus ist immer dramatisch und sprachgewaltig, rhythmisch überaus pointiert sowie von einer ungeahnten Spritzigkeit und Elastizität. Gerade dieser “Drive” macht diesen Beethoven so erregend unmittelbar und brandaktuell. Das Wissen darum, wie Beethoven historisch angemessen gespielt werden kann, und das Empfinden moderner Musiker, deren Spiellust und energiegeladener Zugriff, verbinden sich in optimaler, mitreißender Weise. Alles ist in Bewegung, jeder Takt vibriert. Beethoven als Nervenmusik.
Zusammen mit der gleichsam kammermusikalischen Spielweise der Deutschen Kammerphilharmonie gewinnt die Neunte eine schier berstende Spannung und Intensität. Das Finale ist frei von allem staatstragenden Pathos. Leicht im Ton, aber immer voll Leidenschaft im Ausdruck kommt die humanitäre Aussage zur Wirkung. Der mit gestochen scharfer Diktion ganz exzellent singende Deutsche Kammerchor und vier vorzügliche Solisten – Christiane Oelze, Petra Lang, Klaus Florian Vogt und Matthias Goerne – tragen das Ihre dazu bei.
Die Zweite ist von geradezu überwältigendem Elan und zündendem Impuls: ein symphonisches Feuerwerk auf der Basis einer ebenso subtilen wie schillernden Ausarbeitung der Partitur.
In der Pastorale tritt an die Stelle beschaulicher Landschaftsmalerei der vitale Eindruck eines wachen und sinnlichen Naturempfindens, bei dem es beim Tanz ausgelassen zugeht und im Gewitter die elementare Macht der Naturgewalten geradezu physisch zu spüren ist.
Es ist gewiss der spektakulärste Beethoven-Zyklus der jüngeren Zeit, denn er wird getragen von einem Dirigenten, der nicht aus der Alte-Musik-Szene kommt, der sich stattdessen zum Vorbild Furtwängler bekennt, der – fern aller Tradition und stilistischen Festlegung – zwischen den gängigen Pfaden der Beethoven-Interpretation einen eigenen Weg gesucht und der ihn mit einem hoch ambitionierten, experimentierfreudigen
Orchester gefunden hat. Das Ergebnis ist so aufregend wie schlüssig.
Karl Georg Berg