Anton Bruckner
Symphony No. 9 in D minor
Wiener Philharmoniker, Ltg. Christian Thielemann
Es ist vollbracht! Diesen oder einen ähnlichen Ausruf einer erleichternden Freude wird Dirigent Christian Thielemann möglicherweise getan haben, als die letzten goldgelben Harmonien aus Bruckners letzter Symphonie – seiner Neunten – verklungen waren und er den Zyklus mit dessen insgesamt elf Symphonien einschließlich der Studiensymphonie und der „Nullten“ mit den Wiener Philharmonikern glücklich abschließen konnte. Geschickt von Thielemann, dieses „dem lieben Gott gewidmete“ Werk als markanten Höhepunkt einzuspielen. Was soll danach auch noch kommen? Vielleicht das berühmte Te Deum dranhängen, wie man es früher oft gemacht hat, um den „Musikanten Gottes“ krampfhaft neben Beethoven zu setzen? Bruckner gebührt indes ein eigener Platz. Den gewaltigen Finalsatz schaffte er leider nicht mehr zu vollenden. Aber brauchte er bei aller Verehrung und tiefem Respekt Beethoven wirklich noch? Dieselbe Tonart und die furchteinflößende Neun sind Mythen, an denen im beginnenden 20. Jahrhundert verschiedentlich – auch von Bruckner noch selbst – fleißig gearbeitet wurde.
Deshalb darf der gespannte Hörer hier eine große Erwartungshaltung entfalten, insbesondere mit Blick auf die vorigen, perspektivisch vorbildhaften Einspielungen. Ein wichtiges Kriterium für eine Beurteilung seiner Musik ist sicherlich die Zeitspanne, in welcher sich das Werk entfaltet. Überraschenderweise ist Thielemann hier relativ flott unterwegs. Ob er insbesondere im Kopfsatz an die schlanke Interpretation Eugen Jochums anknüpft? Selbstverständlich eher als an Sergiu Celibidache, der in späteren Aufnahmen mehr als eine Viertelstunde länger braucht. Die zügigere Interpretation mit nur etwa 57 Minuten könnte dem traditionellen Klangbild der „Wiener“ geschuldet sein. Doch vergleicht man die Aufnahme mit Leonard Bernstein aus den 1970ern, ist dort ebenso ein vergleichsweise langer Atem zu spüren. Und ist es nicht diese Langsamkeit, das sanfte Ein- und Versinken in diese Welt, die gerade Bruckners letzte Symphonie auszeichnet? Oder ist es bei aller kaum zu überbietenden Qualität des Gespielten auf vorliegender CD etwa eine Angst vor falscher Mystifizierung oder Pathos, das bei den farbenprächtigen Aufnahmen genannter Dirigenten trotzdem nicht aufkommt?
Eines liegt auf der Hand: Thielemann wollte hier offenbar keine Panoramalandschaft malen, sondern der Neunten mehr Intensität und noch mehr Wucht verleihen. Der Eindruck entsteht dadurch, dass insbesondere im Kopfsatz die Streicher sowie das Blech übermäßig auf Kosten der Hölzer im Vordergrund stehen, während diese dann in den übrigen beiden Sätzen etwas mehr leuchten. Merkwürdigerweise werden die teils markanten Unterschiede sowohl in der Dynamik als auch bei den wechselnden Tempoangaben nicht sonderlich beachtet, die Ritardandi finden nur geringfügige Beachtung, womit ja gerade die Brucknersche Musik stets neuen Atem schöpft. Werner Bodendorff