Mahler, Gustav

Symphony No. 9

Rubrik: CDs
Verlag/Label: EMI 50999 5 01228 2 0
erschienen in: das Orchester 11/2008 , Seite 64

Gustav Mahler gehört zu den Komponisten, denen sich Simon Rattle schon seit den 1980er Jahren, damals noch mit seinem City of Birmingham Symphony Orchestra, regelmäßig per CD gewidmet hat. Zehn Jahre nach seiner Einspielung von Mahlers 9. Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern hat er sich nun mit den Berliner Philharmonikern erneut mit der letzten vollendeten Komposition Mahlers auseinandergesetzt. Sehr früh schon wurde die 1912 posthum von Bruno Walter in Wien aufgeführte Sinfonie als „Mahlers Abschied vom Leben“ rezipiert. Und obwohl Mahler selbst, der im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten sich über die Neunte nur einmal geäußert hat, eine Verbindung zu seiner Vierten herstellte, die mit dem „Abschied vom Leben“ höchstens indirekt verknüpft werden kann, hat sich der Topos der Abschiedssinfonie auch in der Aufführungsgeschichte des Werks nachhaltig niedergeschlagen.
Ganz frei davon ist auch Sir Simon Rattle in diesem hervorragend klingenden, sehr räumlich aufgenommenen Livemitschnitt aus der Berliner Philharmonie zumindest im Schluss-Adagio nicht. Dies unterstreicht der direkte Vergleich mit der ein Jahr zuvor ebenfalls in der Philharmonie live aufgenommenen Berliner Konkurrenz von Daniel Barenboim und seiner auf hohem Niveau agierenden Staatskapelle Berlin. Diesseitiger kann man die Neunte kaum musizieren.
Rattle hingegen bietet eine Partiturexegese, die auch noch jedes kleinste Detail hörbar macht. Dabei bieten die Berliner Philharmoniker eine Glanzleistung. Von einer herbeigeredeten Krise oder von einem Verlust des eigenen Orchesterklangs kann in keinem Takt die Rede sein. Sicher hat Rattle, dabei die Veränderungen im Klangcharakter des Ensembles fortführend, die schon unter Claudio Abbado angestoßen wurden, inzwischen den Berlinern seinen Stempel aufgedrückt. Aber dies ist auch die Aufgabe eines Chefdirigenten, eine persönliche Handschrift erkennbar werden zu lassen. Wenn man Einwände gegen diese Mahler-Sicht haben kann, dann höchstens, dass Rattle dem Abschiedstopos im mit 26 Minuten etwas überdehnt wirkenden Schlusssatz zu sehr Nahrung gibt. Ansonsten herrscht ein analytischer Ansatz vor, der aber von Rattle immer mit musikalischem Nachdruck gefüllt werden kann.
Was Rattle und die Berliner in der Rondo-Burleske an instrumentalem Feinschliff mit ungemein differenzierten, dabei nie strähnig oder hart klingenden Streichern, mit wuchtigem, aber stets konturiertem Blech und ungemein variablen Holzbläsern bei der Auffächerung der komplexen Polyfonie des Satzes leisten, ist schier atemberaubend.
Rattle und die Berliner haben mit dieser Einspielung ein Dokument der Mahler-Pflege vorgelegt, das hinsichtlich Klangqualität und Durchdringung der Partitur, trotz des im Schlusssatz nicht ganz durchgehaltenen Spannungsbogens, einen Höhepunkt der Diskografie der Neunten darstellt.
Walter Schneckenburger

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