Franz Schubert

Symphony No. 8 C major (The Great)

Brandenburger Symphoniker, Ltg. Peter Gülke

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Musikproduktion Dabringhaus und Grimm
erschienen in: das Orchester 04/2018 , Seite 64

Peter Gülke weiß, was er tut. Immerhin ist er ein renommierter Dirigent, der kaum wie ein anderer auch als Musikwissenschaftler sehr tief in die Welt Franz Schuberts und dessen rätselhafte Musik eingetaucht ist. Er nimmt Robert Schumanns Bonmot der „himmlischen Längen“ wörtlich, wenn darin auch eine versteckte Kritik, ein „sanfter Tadel“ mitschwingt, da Jean Paul, so meinte Schumann weiter, mit seinen dicken Romanen auch nicht aufhören konnte. Solcher Kritik ungeachtet kommt Gülke mit seinen Brandenburger Symphonikern immerhin auf eine Gesamtspieldauer von etwa 61 Minuten, weil er alle Wiederholungen berücksichtigt, die Schubert vorschrieb. Das ist enorm und sprengt beinahe alles Dagewesene. Manche auch sehr prominenten und berühmten Dirigenten peitschen die C-Dur-Symphonie mit etwa 40 bis 45 Minuten durch die Partitur.
Gülke hat mit seinen inzwischen 84 Jahren ja auch eine Menge Wissen und Erfahrung über Schubert angesammelt. Und so philosophiert er als Musikwissenschaftler auf elf Spalten im Booklet ausgiebig, kenntnisreich und tiefgründig über die Werkentstehung und -gestaltung, über die kompositorischen Bezüge zu Beethoven, über Schubert selbst und sein Ringen um dieses Werk, steuert Gedanken zur Rezeption hinzu, nicht ohne sich auch analytisch dieser großartigen Symphonie aus dem Jahr 1825 zu nähern. Gülke spricht unter anderem über die „Tiefenperspektive“ von Schuberts Musik. So sollen gerade die Wiederholungszeichen zeigen, wie viel Zeit sich Schubert nehmen möchte, seine Musik zu entfalten. „In keiner vergleichbaren Sinfonie begegnen so viele Tonwiederholungen.“ Das Thema im Finale „mutet wie melodiegewordenes Ticken der Zeituhr, wie ein Schrittzähler an – was wir, nahe heran an gleichgeschalteten Pulsschlag, nur zu gerne nachvollziehen“.
Beste Voraussetzungen also, sie nun auch musikalisch derart umzusetzen, dem Willen Schuberts so weit wie möglich zu entsprechen. Gülke hält sich an seine Philosophie der Zeit und überträgt sie in die Musik: In der ganzen Symphonie spürt der Zuhörer einen beinahe gleichbleibenden, untergründig mitschwingenden Grundpuls, den Gülke mit seinen Brandenburger Symphonikern herausarbeitet. Und das gleich in den ersten Takten. Nur im Übergang von der langsamen Andante-Einleitung zum nachfolgenden Allegro-Teil spürt man einen Ruck wie in einem Zug, von den letzten Bremsen gelöst. Die Tempi, eben von diesem eher ruhigen Pulsschlag abhängig, sind bestens austariert. Auch im Finalsatz, oft ein schwindelerregender Galopp, kann der Hörer mitatmen. Zudem: Gülkes Interpretation lärmt nicht. Das Blech ist nie zu massiv, die Pauken knallen nicht in das Geschehen hinein. Die in einem sehr zurückhaltenden Piano agierenden Holzbläser – insbesondere die Oboe, die sehr oft solistisch zu hören ist – fügen sich mit den sanft agierenden Streichern zu einem wunderbaren Klang­gebilde. Ein friedvolles Gemälde entsteht, ohne kitschig zu werden.
Eine hörenswerte Aufnahme – echte Durchdringung und Lebendigkeit.
Werner Bodendorff