Dvorák, Antonín

Symphony No. 6 op. 60/Konzertouvertüren

Rubrik: CDs
Verlag/Label: MDG 6011601-2
erschienen in: das Orchester 11/2010 , Seite 76

Es gibt nur wenige Dirigenten, die sich nicht mit einer Einspielung von Dvoráks 9. Sinfonie Aus der Neuen Welt verewigt hätten. Auch die 7. und 8. Sinfonie erfreuen sich hoher Popularität und entsprechender Wertschätzung der Musiker und Präsenz in den Schallplattenkatalogen. Dem steht das weitgehende Desinteresse an den weiteren Sinfonien des tschechischen Komponisten gegenüber, die zumeist nur im Rahmen einer der selteneren Gesamteinspielungen berücksichtigt werden. Dass dies gerade im Bezug auf Dvoráks 6. Sinfonie künstlerisch nicht nachzuvollziehen ist, unterstreicht die Einspielung von Jac van Steen und seinen Dortmunder Philharmonikern. Es ist die erste Einspielung des Dortmunder GMDs mit seinem Orchester, aber nicht die erste des Klangkörpers, von dem bei Capriccio eine Aufnahme von Ernst Blochs Oper Macbeth vorliegt.
Zwar gab der Dirigent Hans Richter Dvor?ák den Auftrag für die D-Dur-Sinfonie, in mehrfacher Hinsicht ist das Werk dennoch Johannes Brahms verpflichtet. Einerseits war es Brahms, der durch seinen Einsatz dem nahezu unbekannten Dvorák ein Stipendium verschaffte, ihn aber auch durch Vermittlung von Verlagskontakten unterstützte. Ohne diese öffentliche Unterstützung würde Richter, der nach der dritten Slawischen Rhapsodie Dvoráks, die er 1879 in Wien aufführte, kaum auf den tschechischen Komponisten aufmerksam geworden sein und von ihm für 1880 die D-Dur-Sinfonie zur Uraufführung bestellt haben. Dass daraus nichts wurde, hat der Dvorák-Experte Klaus Döge in seinem sehr lesenswerten Booklet-Text auch auf das geänderte politische Klima zurückgeführt, das auf den beginnenden böhmischen Nationalitätenstreit zurückzuführen sei. Aber auch musikalisch ist Dvoráks op. 60 Johannes Brahms verpflichtet. Nicht nur die Tonart D-Dur verbindet Dvoráks Komposition mit der Zweiten von Brahms, es gibt eine Reihe von weiteren musikalischen Anknüpfungspunkten. Aber auch die fröhlich-idyllische Grundstimmung beider Sinfonien unterstreicht die Gemeinsamkeiten.
Jac van Steen und die sehr ausgewogen, mit geschmeidig leuchtendem Blech musizierenden Dortmunder Philharmoniker – Einschränkungen gibt es nur gelegentlich bei exponierten Momenten der Geigen, wo es manchmal an tonlicher Rundung mangelt – werden dem Grundcharakter der D-Dur-Sinfonie mit großer Akribie und Feinarbeit im Detail gerecht. Der von den Dortmundern klanglich fein ausgeleuchtete Kopfsatz gewinnt zudem durch van Steens Entscheidung, sich an Dvoráks Anweisung zu halten, die Exposition nicht zu wiederholen. Dies unterstreicht ein Vergleich mit Yakov Kreizbergs Einspielung mit dem etwas pauschaler agierenden Niederländischen Philharmonischen Orchester Amsterdam, bei dem das Allegro non tanto mit der Wiederholung 18’37” Minuten dauert. Besonders gelungen ist der Scherzo-Furiant, bei dem die Dortmunder ungemein temperamentvoll und mit rhythmischer Energie agieren.
Weit mehr als eine Zugabe ist der Zyklus der unter dem Motto „Natur, Leben und Lieben“ stehenden Konzertouvertüren (In der Natur op. 91, Karneval op. 92 und Othello op. 93). Hier verbinden sich hohe Orchesterkultur mit Ausdruckswillen und musikalischem Feinschliff.
Walter Schneckenburger