Weigl, Karl

Symphony No. 6 / Old Vienna

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BIS 1167
erschienen in: das Orchester 07-08/2006 , Seite 95

„Zukunft dunkel“, notierte Karl Weigl Ende 1936 und brachte in knapper Form zum Ausdruck, was zu dieser Zeit zahlreiche in Wien lebende Künstler und Intellektuelle bewegte. Bis dahin war Weigls Karriere glanzvoll verlaufen: Schon in jungen Jahren durch Alexander von Zemlinsky gefördert, wurde der Sohn einer jüdisch-assimilierten, gutbürgerlichen und musikliebenden Familie nach Studium und Dissertation 1904 Solorepetitor unter Gustav Mahler an der k.u.k.-Hofoper.
Ab 1906 entfaltete Weigl als Pädagoge, Klavierbegleiter, Rezensent und Komponist eine umfangreiche Tätigkeit, die erst 1938 durch die erzwungene Emigration in die USA jäh unterbrochen wurde. In den 20er und 30er Jahren galt Weigl als einer der gesuchtesten Kompositionslehrer, berühmte Dirigenten wie Furtwängler, Bruno Walter und George Szell führten seine Werke auf. Trotz mancher Empfehlung – darunter einem Schreiben Schönbergs, in dem er konstatiert, er habe Weigl immer für einen der besten Komponisten der alten Schule gehalten – konnte der Emigrant in den USA allenfalls noch in pädagogischer Funktion, nicht jedoch mit seinen Kompositionen an frühere Erfolge anknüpfen.
Vielleicht steht die Tatsache, dass Weigl Schönbergs radikalen Schritt einer Aufkündigung traditioneller Funktionsharmonik nicht mitvollziehen konnte, heute einer Weigl-Renaissance im Weg. Verglichen mit der Idiomatik Schönbergs oder selbst Zemlinskys schrieb Weigl in der Tat „Musik alter Schule“, die indes auf spätromantischer Grundlage in unzweifelhafter Authentizität und bemerkenswerter Frische daherkommt. Mit Ausnahme weniger Momente – etwa des Deus-ex-Machina-gleich aufleuchtenden D-Dur-Akkords auf dem Höhepunkt des 1. Satzes – mutet Weigls 1947 komponierte 6. Sinfonie nirgends bemüht-nostalgisch und damit unzeitgemäß an. Sie ist schlicht ein Stück gute Musik: expressiv, kontrastreich, satz- und orchestrierungstechnisch von großer Könnerschaft geprägt.
Ergänzt wird diese CD-Premiere von einer weiteren Ersteinspielung: Old Vienna, komponiert 1939 in den USA inmitten drückender Geldnot und schmerzlicher Sehnsucht nach der Geburtsstadt. Was Weigl in dieser Situation zu Papier brachte, sagt einiges über seine Persönlichkeit aus: nicht üppige Walzernostalgie à la Richard Strauss, nicht bittere 3/4-Takt-Musik im Stile Alban Bergs und auch nicht De-Komposition von der Art des ravelschen La Valse-Poems. Vielmehr eine große Konzertwalzer-Fantasie, formal an das Vorbild Johann Strauߒ angelehnt, eine Musik fernab jeder Parodie und in ebenso sicherer Entfernung zu jeglichem Kitsch.
Zur Begegnung mit diesem Musiker verhilft uns das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, das unter den Dirigenten Thomas Sanderling und Alun Francis die Musik Weigls mit viel Sinn für ihre Farb- und Ausdrucksfacetten interpretiert. Der Booklettext von Lloyd Moore bietet alle wichtigen Informationen zur Einordnung des zu Unrecht vergessenen Komponisten. Darf man sich auf eine Gesamteinspielung der weiglschen Sinfonien freuen?
Gerhard Anders