Ives, Charles
Symphony No. 3 / Ragtime Dances / Robert Browning Overture
Dass die 3. Sinfonie von Charles Ives zu den populärsten und meistaufgeführten Werken dieses Pioniers der amerikanischen Musik zählt, hat mehrere Gründe: Zum einen verlangt das dreisätzige Werk lediglich ein Kammerorchester (ohne Schlagzeug), zum anderen ist es wesentlich leichter hörbar als etwa die Sinfonie Nr. 4 oder andere spätere Ivessche Orchesterwerke. Noch hatte der Komponist in diesem Stück nicht zu jener radikalen Multi-Polyfonie gefunden, die in der posthumen Rezeption seiner Musik als sein Markenzeichen angesehen werden sollte. Und so kommt es, dass The Camp Meeting, so der Untertitel des Werks, auch innerhalb der Ives-Diskografie nicht eben unterrepräsentiert ist.
Die vorliegende Aufnahme weiß in mehrfacher Hinsicht zu überzeugen und sich gegenüber den Referenzaufnahmen von Tilson Thomas (Sony) und Litton (Hyperion) achtbar zu behaupten. Michael Stern, der mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken für das Label col legno bereits Ives 2. Sinfonie einspielte, versteht es, dem innigen, beinahe intimen Tonfall der Komposition Ausdruck zu verleihen, ohne emotional allzu überbordend zu agieren. Er wählt durchweg fließende bis zügige Tempi, die insbesondere dem zweiten Satz Childrens Day gut zu Gesicht stehen. Die Schattenlinien, dissonante Kontrapunkte, die in gedämpfter Dynamik einen Hintergrund zur motivischen Hauptebene bilden und diese auf sanfte Weise relativieren, sind angemessen diskret gehandhabt, doch stets hörbar. In der Erstausgabe der Sinfonie tauchen diese nicht auf, weswegen sie bei früheren Enspielungen, etwa unter Bernstein, fehlen.
Dem Orchester, das diese Musik sicherlich nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben dürfte, gelingt eine angemessene Realisierung von Ives spezifisch amerikanischem Tonfall. Das gilt auch für die vier Ragtime Dances, der eigentlichen Entdeckung dieser CD. Sie bieten sozusagen Ives im Reclam-Format beinahe sämtliche für den reifen Ives typische Kompositionstechniken wie Collage- und Zitattechnik sind hier auf engstem Raum vertreten. Diese von James Sinclair anhand von Ives Particellen nachträglich orchestrierten Kabinettstückchen erfahren hier pointierte, elektrisierende Interprationen, die Ives provokanter Seite mustergültig gerecht werden; man fragt sich, warum sie nicht öfter aufgeführt werden.
Das positive Bild relativiert sich leider etwas in der Robert Browning Overture. Das ohnehin recht stachlige und schwer zu packende Werk, eine von Ives ernstesten und kompromisslosesten Schöpfungen, verliert durch Michael Sterns sehr behäbige Gangart er benötigt 26 Minuten, Ingo Metzmacher (EMI) lediglich 21 an Impetus. Hinzu kommt, dass das motivische Geflecht in den bewegten Passagen durch übermäßig präsentes Schlagwerk an Durchhörbarkeit verliert. Ein Wermutstropfen in einer ansonsten sehr ansprechenden Veröffentlichung.
Thomas Schulz