Ye Xiaogang
Symphony No. 3 “Chu” op. 46 / The Last Paradise op. 24
Cho-Liang Lin (Violine), Hila Plitmann (Sopran), Royal Philharmonic Orchestra, Ltg. José Serebrier
Es beginnt mit enggeführten, statischen Akkorden in starrer Dynamik wie beim späten Olivier Messiaen. An den französischen Meister muss man auch denken, als sich terrassenförmige Intervall-Melodien ausbilden samt einer heterofonen rhythmischen Grundierung mit metallisch klingenden Schlaginstrumenten; dazu eine auffällige Farbigkeit und Resonanzfülle der wie vor leerem Hintergrund freigestellt und fest gerändert platzierten Klangerscheinungen.
Der 1955 in China geborene Xiaogang Ye hat 2004 seine 3. Sinfonie komponiert, die in sieben Sätzen in knapp 40 Minuten einen Klangfries autochthoner Gestaltungsweisen am Ohr des Zuhörers vorbeiziehen lässt. Chu ist der Titel des Werks und bezieht sich auf ein lange vor christlicher Zeitrechnung existierendes chinesisches Königreich; ein Quellgrund, der die Nutzung chinesischer Instrumentalität und die Wirksamkeit ihrer klanglichen Emissionen in die mittlerweile selber Tradition gewordene offene Satzweise westlicher Modernität einfließen lässt wie in eine Brunnenschale. Es ist Musik des zeitgenössischen China, das sich ästhetisch neben aller west-adaptiver Technik der eigenen kulturellen Verwurzelung als eines Korrektivs besinnt. Zu Zeiten der vorletzten Jahrhundertwende hätte man das die Herausbildung der nationalen Schulen genannt. Der Komponist ist hier, wie so oft im asiatischen Raum, als Synthetisierer von Klangflüssen diverser Herkunft aktiv, wobei Strömungsgeschwindigkeit und Kataraktbildung deutlich eigenartig bleiben und gemeinsam mit der
Instrumentalität das Besondere im Allgemeinen darstellen.
Das ist ein fesselndes und attraktives Amalgam, für das es mehrere, bei dieser Veröffentlichung gegebene Voraussetzungen braucht: einen souverän die zeremoniösen, dramatischen und illustrativen Ereignisse ermöglichenden Klangkörper samt einer überlegen aushörenden Leitung; und eine Aufnahmetechnik, die mit Strahlkraft das Kleinste und Größte gleicherweise spannungs- und farbreich abbildet. Mit dem Klangbild des BIS-Labels, mit dem Londoner Royal Philharmonic Orchestra und mit José Serebrier ist das in idealer Weise gegeben.
Nachdrücklich und brillant proportioniert ist das Violinkonzert Yes von 1993: The Last Paradise. in 15 Minuten wird ein zielstrebiger, Solo und Tutti in Spannung haltender Prozess entwickelt, der auch seine Ruhezonen und kontemplativen Rückzugsorte plastisch vermittelt. Herrliche Resonanz-Kunst, nicht nur in der Kadenz, der ein wunderbares Perpetuum der Ziellosigkeit auf knappstem Raum folgt. Solist ist der 56-jährige Cho-Liang Lin, der an der Juilliard School lehrt und taiwanesischer Herkunft ist. Ein Exponent neuer Musik, der einen unsentimentalen und doch ausartikulierten Ton pflegt. Hila Plitmann bietet in der Sinfonie zwei Mal längere
sopranische Vokalisen.
Bernhard Uske