Mahler, Gustav

Symphony No 1 in D major

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wiener Symphoniker WS 001
erschienen in: das Orchester 02/2013 , Seite 68

Eine Aufnahme von Mahlers erster Sinfonie mit den Wiener Symphonikern – das klingt alles andere als spektakulär, denn Einspielungen dieser wie jeder anderen Mahler-Sinfonie gibt es mehr als Sand am Meer. Und dass eines der großen Wiener Orchester sich demjenigen Genius Loci widmet, dessen 6. Sinfonie es einst in der habsburgischen Metropole erstaufgeführt hatte, scheint auch nicht verwunderlich.
Ein Blick in die Diskografie zeigt jedoch, dass CD-Produktionen für die Wiener Symphoniker – zumindest in den vergangenen Jahren – durchaus etwas Besonderes sind. Die Zusammenarbeit mit Fabio Luisi zum Beispiel, der immerhin seit der Spielzeit 2005/06 Chefdirigent des Orchesters ist, wird nur durch wenige Aufnahmen dokumentiert: eine Einspielung des Brahms-Violinkonzerts (Solistin: Arabella Steinbacher), der Schumann-Sinfonien und des Konzertstücks für 4 Hörner. Und nun eben Mahlers Erste. Man muss kein Prophet sein für die Annahme, dass bis zum Abschied Fabio Luisis im kommenden Jahr nicht Dutzende weiterer CDs erscheinen werden. Deshalb lohnt das Zuhören besonders.
Doch auch aus rein musikalischer Sicht ist diese Interpretation bemerkenswert und schön. Nicht wegen besonderer Extravaganzen in Luisis Lesart (die gibt es auch), sondern weil neben den Philharmonikern jedenfalls auch die Wiener Symphoniker von einem ganz besonderen Klang beseelt sind. Die Vielfalt der Klangfarben, die in diesem Orchester stecken, verblüfft ein ums andere Mal. Reich und fein schattiert sind die Mitteltöne, satt und erdverbunden die Bässe, strahlend, aber nie schreiend die Höhen. Das liegt natürlich auch an einem ganz eigenen Streichersound, vor allem jedoch an Bläsern wie den Hornisten, die auf ihren Wiener F-Hörnern gewaltig wie zart zurückhaltend zu blasen verstehen. Nicht zu vergessen die herrlich knorrigen Fagotte und näselnden Oboen.
Fabio Luisis Lesart spricht an, ist aber immer wieder auch streitbar: Der erste Satz, „wie ein Naturlaut“, bleibt dabei mit dem ätherischen Anfang und einem zupackenden Schluss im Rahmen, doch ist dafür der zweite Satz, das Scherzo, sehr eigen: Nach betont langsamem Beginn beschleunigt der Italiener scharf das Tempo. Und lässt dafür das Trio schleppend, fast etwas manieriert spielen. Den langsamen dritten Satz mit der Moll-Version von Bruder Jakob habe ich selten so bedrohlich gehört, die langsamen Teile des vierten Satzes werden stark entrückt, ja fast zerdehnt.
Es sind einmal mehr die Gegensätze, die den Opernspezialisten Luisi (seit 2011 Chefdirigent an der Metropolitan Opera New York, seit dieser Spielzeit GMD am Opernhaus Zürich) interessieren. Auf der Homepage der Wiener Symphoniker weiß er sich mit seiner Mahler-Aufnahme jedenfalls in exquisiter Gesellschaft: Einspielungen mit Herbert von Karajan, Eliahu Inbal, Sergiu Celibidache oder Carlo Maria Giulini machen deutlich, welche Tradition sich hier bis heute erhalten hat.
Johannes Killyen