Rott, Hans
Symphony No. 1 E-Dur / Orchestral Works
Wer ist Hans Rott? Nie gehört? Nicht nur so genannte Musikliebhaber, auch viele Kenner werden achselzuckend resignieren. Im Riemann Musiklexikon ist sein Name nicht zu finden, in der MGG taucht er nur als Mahler-Anhängsel auf und selbst in einer in den 1970er Jahren entstandenen Österreichischen Musikgeschichte sucht man ihn vergebens. Obwohl er gerade dort hingehört. Denn Hans Rott wurde am
1. August 1858 in Wien geboren, war Schüler Anton Bruckners und Kommilitone Gustav Mahlers am Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde. Mit nur 26 Jahren starb Rott nach mehreren Selbstmordversuchen in der Niederösterreichischen Landesirrenanstalt an Tuberkulose. Achtzig, zum Teil unvollendete, Kompositionen verschiedenster Gattungen von der Kammermusik über die Sinfonik bis zur Bühnenmusik hat er seinem kurzen Leben abgerungen.
Seit einigen Jahren erst bemühen sich Interpreten um sein Werk. Der Berliner Dirigent Sebastian Weigle hat nun mit dem Münchner Rundfunkorchester eine CD mit drei Werken Rotts der Symphonie Nr. 1 E-Dur, dem Orchestervorspiel E-Dur und dem Vorspiel zu Julius Cäsar eingespielt, die durchaus verblüffen.
Bei der viersätzigen Symphonie, die Rott als Zwanzigjähriger niederschrieb, erkennt man die Paten genau: Nicht nur Bruckner lugt hier in etlichen Choral-Anklängen um die Ecke. Mehr noch tönt Wagner als verehrter Übervater deutlich heraus. So erscheinen vor allem in der intensiven kontrapunktischen Arbeit Rotts die Meistersinger im ersten Satz massiv durch. Dennoch verrät der blechgesättigte, differenzierte und keineswegs nur bombastische Klang auch eine eigene Handschrift in der melodischen Erfindungskraft wie im formalen Aufbrechen. Und im dritten Satz, einem walzerseligen Scherzo, winkt bereits Mahler von Ferne. Auch wenn das Scherzo beim jungen Rott noch nicht so kühn und zukunftsweisend klingt wie später beim Kommilitonen Mahler schrieb fort, was hier bereits aufkeimt. Kein Wunder, dass Mahler vom Kollegen behauptete: Ja, er ist meinem Eigensten so verwandt, dass er und ich mir wie zwei Früchte von demselben Baum erscheinen, die derselbe Boden gezeugt, die gleiche Luft genährt hat.
Weigle und das Rundfunkorchester widmen sich dieser prallen Musik, die eindeutig theatralische Züge (nicht nur im Cäsar-Vorspiel) trägt, ebenso zupackend wie sensibel. So lassen sich in der wohlausbalancierten Aufnahme auch harmonische und rhythmische Feinheiten und Reibungen wahrnehmen. Hier war ein handwerklicher Könner am Werk das verrät nicht nur die im Zusammenhang etwas seltsam anmutende Fuge im Finalsatz.
Schwer zu verstehen, dass Rotts Lehrer und glühender Fürsprecher Bruckner für den Lieblingsschüler gar nichts erreichen konnte; weniger, dass Brahms (der als Vorbild ebenfalls durchschimmert) sich nicht zu begeistern vermochte. Auf jeden Fall schade, dass Hans Rott starb, ehe er wirklich ganz zu sich und vielleicht zur Oper gefunden hatte.
Gabriele Luster