Andreae, Volkmar

Symphony in C major op. 31/Kleine Suite op. 27/Music for Orchestra op. 35/Notturno and Scherzo op. 30

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Guild GMCD 7377
erschienen in: das Orchester 01/2013 , Seite 72

Volkmar Andreae (1879-1962) prägte die Epoche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Dirigent des Zürcher Tonhalle Orchesters. Dort im Amt als Chefdirigent seit 1906, behielt er die Position bis 1949 inne. Das ist (für heutige Maßstäbe) ein unvorstellbar langer Zeitraum. „Daneben“ leitete er das Konservatorium der Stadt. Er war die zentrale Musikerpersönlichkeit zu seiner Zeit in Zürich.
An Angeboten für eine internationale Karriere mangelte es nicht. 1911 offerierten ihm die New Yorker Philharmoniker die Nachfolge von Gustav Mahler. An der Scala dirigierte er 1911 die italienische Erstaufführung der Bach’schen Matthäuspassion. Von Kollegen wie Fritz Busch, Arthur Nikisch oder Arturo Toscanini hoch geschätzt, hatte der in Bern geborene Dirigent auch Komposition bei Franz Wüllner in Köln studiert. Seine Dirigentenkollegen führten in ihren Programmen viele der sinfonischen Werke von Volkmar Andreae auf. Und Richard Strauss widmete ihm noch 1945 sein Oboenkonzert. Später lebte Andreae als freischaffender Komponist in Wien und trat international als Dirigent auf. Mit den Wiener Symphonikern spielte er als Erster alle Sinfonien Bruckners, für dessen Werk er sich Zeit seines Lebens eingesetzt hatte, ein.
Daran, dass Andreaes Orchesterwerke jetzt in einer Einspielung mit dem Bournemouth Symphony Orchestra vorliegen, hat Marc Andreae sicher den maßgeblichen Anteil. Der langjährige Leiter des Orchestra della Radio Svizzera Italiana und international tätige Dirigent trat ab Mitte der 1960er Jahre in die Fußstapfen seines Großvaters. Die Werke auf der vorliegenden CD sind in ihrer Besetzungsgröße auch für mittlere Orchester von Interesse und verlangen nicht die Riesenapparate wie Werke des frühen Strauss oder von Mahler oder wie so oft die Werke des 20. Jahrhunderts. Die Kompositionen sind allesamt effektvoll und glänzend instrumentiert, gelegentlich vermisst man den melodischen Sog. Bei einer „Blind­hör-
probe“ der CD würde man den Komponisten und den Personalstil kaum erraten können. Die Werke sind klassisch im Aufbau, aber die Instrumentation klingt geschult an der Musik von 1900 bis 1920. Zum Glück muss man heute die Werke der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr mit dem Maßstab eines Fortschrittsglaubens messen. Weil das aber bis vor 20 Jahren en vogue war, befinden sich Andreaes Werke immer noch im Schatten des Repertoire-Mainstreams. Verglichen mit den meisten seiner Zeitgenossen wirkt Andreaes Musik ja auch wie „aus der Zeit“ gefallen. Aber sie ist interessant. Und verdienstvoll ist es allemal, dass Marc Andreae mit dem guten Bournemouth Symphony Orchestra eine wirklich hörenswerte CD herausgebracht hat. Einziger Wermutstropfen: Die deutsche Übersetzung des Booklet-Textes ist recht ungelenk.
Gernot Wojnarowicz