Haydn, Joseph

Symphonies No. 88-92 / Sinfonia Concertante

Rubrik: CDs
Verlag/Label: EMI Classics 0946 3 9423729
erschienen in: das Orchester 12/2007 , Seite 82

Es sind nicht die berühmten und viel gespielten Pariser oder Londoner Sinfonien Haydns, die von den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Simon Rattle neu aufgenommen wurden, sondern die nicht ganz so im Konzertrepertoire präsenten Werke Nr. 88 bis 92 und die Sinfonia Concertante. Dies kann als Beleg dafür gewertet werden, dass es sich trotz des anstehenden Jubiläumsjahres (200. Todestag von Joseph Haydn im übernächsten Jahr) bei der Produktion, die als Konzertaufnahme in der Berliner Philharmonie im Februar 2007 entstand, um eine Herzensangelegenheit der Musiker handelt.
Und das hört man den Interpretationen auch an: Sehr brillant und mit vielen dynamischen Schattierungen werden die Sinfonien mit großer Ernsthaftigkeit und gleichzeitig mit haydnschem Spaß musiziert. So besonders im Finale der C-Dur-Sinfonie Nr. 90, bei der in einem Track auch die Publikumsreaktionen bzw. -irritationen auf die mehrfach vorgetäuschten Schlussakkorde wiedergegeben werden. Vor allem in den überzeugenden langsamen Sätzen spürt man in vielen Details den Atem der Musik und wie das Orchester mit seinem musikalischen Leiter die Kantilenen beinahe vokal ausgestaltet. Dabei sind die herausragenden Instrumentalisten der Berliner Philharmoniker nicht nur in der Sinfonia Concertante (Toru Yasunaga, Violine, Georg Faust, Cello, Jonathan Kelly, Oboe, Stefan Schweigert, Fagott), sondern darüber hinaus auch in fast allen anderen Sinfoniesätzen solistisch gefragt. Sie sind ein wesentlicher Garant für das Gelingen der Interpretationen und für den spielerischen Charakter, der die Aufnahmen hörenswert macht. Hier begegnet man fürwahr keinem altbackenen „Papa Haydn“.
Doch etwas fehlt den Interpretationen, um im letzten Atemzug wirklich modern und in ihrer Gesamtheit spannungsreich zu klingen. Ein wenig mehr Schärfe, ein wenig mehr Biss täte der Musik gut, um sie von jeder Form des „Braven“ zu befreien, wie sie durch den Ballast der Rezeptionsgeschichte nach Haydns Tod geprägt wurde. War es der große Respekt gegenüber den Kompositionen, der die Interpreten hinderte, diesen letzten Schritt zur Perfektion zu gehen?
Oder war es die Befürchtung, man würde durch diese stärkere Akzentuierung auf die theatralischen Momente die Musik zu sehr zur Schau stellen und zum Selbstzweck degradieren? Hierfür sprächen die einleitenden Worte Simon Rattles im Booklet, in denen der Dirigent bekundet, die Tiefen in Haydns Lebenswerk seien „desto anrührender, als sie nicht offen zur Schau gestellt werden“.
Wie auch immer, entstanden sind Interpretationen auf einem spieltechnisch hohen Niveau, mit humoristischem Augenzwinkern und mit Esprit, dem allerdings ein wenig mehr Würze gut getan hätte.
Klemens Fiebach