Czerny, Carl
Symphonies No. 2 & 6
Jeder Klavierschüler kennt die Schule der Geläufigkeit von Carl Czerny (1791-1857). Den großen Wiener Pädagogen und Pianisten machen seine zahlreichen Etüden bis auf den heutigen Tag berühmt und berüchtigt zugleich. Er selbst wurde vom mittleren Beethoven unterrichtet und lehrte später den jungen Liszt. Als Komponist eines beachtlichen uvres saß er zwischen den Stühlen des grundlegenden Stilwandels im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. In Mozarts Todesjahr geboren, kam Czerny als Romantiker eigentlich zu früh, als Klassiker zu spät auf die Welt. Seine Werke führen eine klassizistische Linie weiter, die spürbar auf Beethoven fußt. Zudem war er ein ausgesprochener Patchworker. In seinem Schrank, so informiert uns das Booklet dieser neuen Aufnahme der zweiten und zechsten Symphonie, lagerte er allerhand Muster für Passagen und Figurationen, die er je nach Bedarf seinen Kompositionen einfügte.
Dem polnischen Dirigenten Grzegorz Nowak haben wir diese Aufnahme zu verdanken. 2002 hat er die sechste Symphonie für das Carl Czerny Festival im kanadischen Edmonton wiederentdeckt und erstmals nach 150 Jahren aufgeführt. Am Ende seiner Zeit als Chef des SWR Rundfunkorchesters Kaiserslautern (2001- 2004) entstand diese Weltersteinspielung der sechsten Symphonie. An der Seite der zweiten Symphonie mit der staunenswerten Opuszahl 781 kann sich der Hörer einen guten Eindruck von zwei gänzlich unbekannten Orchesterwerken verschaffen. Die Symphonien werden von den Musikern aus Kaiserslautern mit viel Schwung und Esprit gespielt.
Das wertet die Kompositionen auf, die so manch schöne Stelle und melodisch wirkungsvolle Erfindung besitzen. Formal geben sie sich natürlich eher konservativ. Die viersätzige Anlage mit einem Scherzo an jeweils dritter Stelle und davor einem graziösen langsamen Satz gehörte schon damals in eine vergangene Zeit. Die sechste Symphonie g-Moll entstand immerhin 1854, als Liszt in Weimar bereits seine Symphonische Dichtung kreiert hatte. Nach Schumanns Gattungsbeiträgen war ohnehin eine Krise der Symphonie ausgebrochen, die erst Bruckner und Brahms wieder überwanden. Inmitten dieser Entwicklung wirken Czernys Symphonien mit ihren brav gegliederten Sonatensatzformen (Kopfsätze) und unproblematischen Finali wie die Musik eines Weltabgewandten, der von den Umstürzen seines Umfelds kaum Notiz nahm. Ein Drang zur Neudeutung der symphonischen Form ist bei ihm kaum zu spüren. Der brillanten Musik tut dies freilich keinen Abbruch, daher bildet diese Aufnahme eine willkommene Programm-Erweiterung.
Immerhin helfen solche Höreindrücke, die Vielfalt der Zeit aufzudecken und die Meisterwerke unseres Repertoires als solche überhaupt erst zu erkennen. Die im Juni 2004 (Sechste) und Februar 2005 (Zweite) erstellten Aufnahmen klingen gut ausbalanciert und weiträumig.
Matthias Corvin