Jean Sibelius

Symphonies 1-7

Orchestre de Paris, Ltg. Paavo Järvi

Rubrik: CDs
Verlag/Label: RCA Red Seal
erschienen in: das Orchester 09/2019 , Seite 64

Der estnische Dirigent Paavo Järvi, Sohn des berühmten Dirigenten Neeme Järvi und Bruder des ebenfalls erfolgreich am Pult stehenden, zehn Jahre jüngeren Kristjan Järvi, gehört zu den facettenreichsten und umtriebigsten Musikern unserer Tage. Meist ist er Chef gleich mehrerer Orchester – und vor allem arbeitet er nicht nur bei traditionell großbesetzten und traditionell strukturierten Orchestern, sondern auch bei unkonventionell organisierten und innovativen Klangkörpern. Gemeint ist damit vor allem die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, mit der Paavo Järvi einen sensationellen Zyklus aller Beethoven-Sinfonien eingespielt hat. Auch die Sinfonien von Schumann und Brahms hat er mit diesem hochmotivierten Kammerorchester in exzeptionellen Interpretationen erarbeitet.

Mit anderen Orchestern, unter anderem dem hr-Sinfonieorchester, dem er von 2006 bis 2013 vorstand, hat er nicht zuletzt als Bruckner- und Mahler-Interpret Zeichen gesetzt. Von 2010 bis 2016 war Paavo Järvi Chef des Orchestre de Paris, das in dieser Zeit seine Heimat in der spektakulären neuen Pariser Philharmonie fand. Dort wurden in der Mehrheit auch die Sinfonien von Jean Sibelius aufgenommen, die als ein besonderes Projekt von Paavo Järvis Arbeit an der Seine nun auf drei CDs vorliegen.

Dass Paavo Järvi seiner Herkunft wegen mit der Musik von Jean Sibelius eng vertraut ist, verwundert nicht. Die Musik des Finnen war, vielleicht abgesehen vom Violinkonzert, lange eine Domäne skandinavischer oder baltischer Musiker – und englischer, denn auch auf der Insel ist Sibelius schon lange fester Teil des Repertoires. Auf dem Kontinent führte diese Musik mit ihrem individuellen Ton dagegen ein Schattendasein. Die Polemik von Adorno tat in Deutschland das Übrige, Sibelius mit Argusaugen zu betrachten. Eine große Ausnahme war Herbert von Karajan, der sich früh für Sibelius einsetzte. Karajan war einer der Vorgänger von Paavo Järvi beim Orchestre de Paris. Doch in dessen zwei Jahren in Paris konnte für Sibelius nicht viel getan werden. Die vorliegende Gesamtaufnahme der sieben Sinfonien des Finnen ist also das Dokument einer späten Aneignung des Orchesters der französischen Hauptstadt von Sibelius, angeführt von einem Dirigenten, der diese Musik bestens kennt.

Das Ergebnis ist hochspannend und überzeugend. Der etwas schwere und dunkle Ton nordischer Klangkörper fehlt, das Orchestre de Paris spielt vielmehr sehr farbig und brillant, wenn man so will durchaus mediterran. Paavo Järvi seinerseits bringt auch keinen vollmundigen Stil mit, sondern gibt den sieben Sibelius-Sinfonien eine Klarheit und Flexibilität, als wäre es Beethoven oder Brahms mit den Bremern. Das gibt dieser Gesamtaufnahme eine spezielle Dimension und Sibelius’ Musik eine faszinierende Vielfalt und Lebendigkeit.

Die Sinfonien von Sibelius, von der spätromantisch ausladenden Ersten und der emphatischen Zweiten bis zur hochkonzentrierten Siebten, erklingen hier sehr authentisch und zugleich sehr unkonventionell: Das ist sehr aufregend.

Karl Georg Berg