Bruckner, Anton

Symphonien Nr. 4, 7 und 8

4 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Farao Classics B 108074
erschienen in: das Orchester 11/2013 , Seite 79

Gänzlich neue Einblicke in Bruckners sinfonisches Schaffen vermittelt die CD-Box mit dem Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung von Kent Nagano. Eine extreme Überraschung ist vor allem die Wiedergabe der 4. Symphonie in Es-Dur, der sogenannten Romantischen, in der Urfassung von 1874. Besonders der dritte Satz, der eine Jagd symbolisieren soll, klingt hier nämlich völlig anders als in der späteren Fassung. Das ist eigentlich keine Jagd mehr, sondern die signalhafte Erinnerung an eine mittelalterliche Stadt. Der charakteristische Hornruf bleibt zwar auch im ersten Satz erhalten, aber die Intervallspannungen verlagern sich in eine andere dynamische Richtung. Obwohl das Klangbild eher dumpf ist, gelingen Nagano und dem Bayerischen Staatsorchester eindrucksvolle harmonische Momente. Auf der anderen Seite scheinen viele Motive hier aber auseinanderzufallen, der harmonische Fluss ist zuweilen gefährdet. Man merkt, dass die zweite Fassung von 1878/80 reifer und schöner ist – dies wohl auch der Grund, warum sie viel häufiger gespielt wird.
Die Wiedergabe der achten Symphonie in c-Moll ist ebenfalls interessant, denn sie erklingt auch in der Urfassung aus dem Jahr 1887. Vor allem der erste Satz unterscheidet sich von der Zweitfassung aufgrund des gewaltigen C-Dur-Aufschwungs im ersten Satz. Hier endet dieser erste Satz nicht resignativ, sondern durchaus kraftvoll und kämpferisch. Das ist wirklich ein überragender Lichtblick. Es ist zu überlegen, ob man bei diesem ersten Satz der Urfassung nicht den Vorzug geben sollte. Nagano bemüht sich um ein abgeklärtes, zuweilen etwas bedecktes und sogar dumpfes Klangbild, was Vor- und Nachteile hat. Bei den Klangpoesien von Hörnern und Harfe im Scherzo lässt die Intensität nicht nach. Visionär wirken die Harfenklänge im feierlichen Adagio. Ströme von Licht scheinen sich dann bei der gewaltigen Coda im Finale zu behaupten.
Die für Bruckner so typischen Tremolo-Effekte werden vor allem bei der orchestral schlank wirkenden Interpretation der 7. Symphonie in E-Dur trefflich ausgekostet. Hier hat alles einen großen Atem, die einzelnen Motivteile und thematischen Verästelungen fallen nicht auseinander. Diese Aufnahme entstand 2010 live in der Kathedrale von Gent und hat deswegen eine weiträumigere Akustik als die anderen Aufnahmen. Aus licht flimmernder Höhe schwingt sich das „Heldenthema“ des Allegro moderato empor. Man muss bedenken, dass diese Sinfonie das einzige Werk ist, das Bruckner aufgrund des Erfolgs nicht überarbeitete. Kent Nagano gelingt es, einen riesigen dynamischen Bogen über diese Sinfonie zu spannen, sodass die innere Balance sich machtvoll behaupten kann. Das zweite Thema in Oboen und Klarinetten besitzt Elastizität und leuchtkräftige Klarheit. Und die Coda entfaltet feierliche Pracht, die berühmte Totenklage der Wagnertuben im zweiten Satz besitzt schmerzlich-ernstes Pathos. Die lebhaften Trompetensignale des Scherzos im dritten Satz gewinnen ungeahnte Präsenz, die Weihe des Chorals im fast schon hastig gespielten Finale wird durch samtweiche Streicher verdeutlicht. Und die Wucht des Kopfmotivs fegt hier alles weg. Heldenpathos, von Nagano mit dem glutvoll musizierenden Bayerischen Staatsorchester würdevoll herausgearbeitet!
Alexander Walther