Schubert, Franz

Symphonien Nos. 2 & 4

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Tudor 7142
erschienen in: das Orchester 01/2006 , Seite 81

Hinter der gern gestellten Frage, ob Franz Schubert nun der Klassik oder der Romantik zuzurechnen sei, steckt ein Problem, das mit musikhistorischem Schubladendenken nicht zu lösen ist: Schubert bewunderte die Klassiker, sein Streben zumindest als Instrumentalkomponist war darauf ausgerichtet, es diesen Meistern gleichzutun. Aus diesem Blickwinkel werden heute zumeist seine frühen Sonaten, Quartette und Sinfonien beurteilt. Dass Schuberts musikalisches Denken indes schon früh eigene Wege ging, zeigt sich nicht nur im Liedschaffen, sondern auch in manchen seiner Instrumentalwerke, wiewohl diese, gemessen an der Originalität der frühen Lieder, in stärkerem Maße klassischen Modellen verhaftet sind und sich insbesondere am (über-) mächtigen Vorbild Beethoven abarbeiten. Allerdings haben wir es hier – und vollends im schubertschen Spätwerk – weder mit Spätklassik noch Frühromantik, sondern mit einer eigenständigen Konzeption zu tun, die schon deswegen keine unmittelbare Weiterentwicklung auslösen konnte, weil große Teile des Œuvres erst Jahrzehnte nach Schuberts Tod im Druck erschienen.
Die 1816 entstandene 4. Sinfonie erlebte ihre öffentliche Uraufführung 1849 in Wien, die 1815 komponierte Zweite gar erst 1877 im Londoner Crystal Palace. Hört man beide Werke – wie in vorliegender Aufnahme – in der Reihenfolge ihres Entstehens, so erstaunt, wie dezidiert Schubert im früheren Werk eine eher un-beethovensche, weniger auf motivisch-thematische Arbeit denn auf schubert-typischen Zeitstrom setzende Konzeption erprobt, während er sich in der c-Moll-Sinfonie geradezu demonstrativ dem „großen Schatten“ stellt. Zugegeben: Dies hört zumal derjenige, welcher sich geschärften Sinns nach der Lektüre des Booklets den Werken widmet, und so sei hier ausnahmsweise noch vor dem klingenden Produkt die Textbeilage gelobt: Alfred Beaujeans vorzügliche Einführung informiert nicht nur, sie lenkt unsere Aufmerksamkeit auf das Besondere, wir hören Altbekanntes mit „frischen“ Ohren.
Freilich bereitet auch die klangliche Realisierung Freude: Sie ist Teil der ersten CD-Produktion aller Schubert-Sinfonien, die auf der textkritischen Neuen Schubert-Ausgabe basiert. Den Bamberger Symphonikern und ihrem jungen Chefdirigenten Jonathan Nott gelingt fast durchweg die Realisierung des scheinbaren Paradoxes eines vollen und doch schlanken, durchhörbaren Orchesterklangs. Die vorgeschriebene Dynamik wird genau befolgt, das Phrasierungskonzept steht einer von historischer Aufführungspraxis geprägten Sichtweise nahe – wie wohltuend, einmal ein Scherzo mit einem unbetonten Takt enden zu hören! –, allerdings wird deutlich weniger „auf alt“ gespielt, als es vielerorts Mode ist. Bei einer Aufnahme dieses Rangs mag man vielleicht eine noch genauer austarierte Intonation in den Anfangsakkorden der 2. Sinfonie oder noch präziseres Zusammenspiel zu Beginn des Allegro vivace der 4. Sinfonie erwarten, doch trüben kleine Wermutstropfen keineswegs den positiven Gesamteindruck der Neuproduktion.
Gerhard Anders