Beethoven, Ludwig van

Symphonien 1-9

Berliner Philharmoniker, Ltg. Simon Rattle

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berliner Philharmoniker BPHR 160091
erschienen in: das Orchester 11/2016 , Seite 65

In zwei Jahren endet nach 16 Jahren die Amtszeit von Simon Rattle als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Erst jetzt legt der englische Maestro mit seinem Orchester einen Zyklus mit den neun Symphonien Beethovens auf Bild- und Tonträger vor. Aparterweise kam 2003 in seiner ersten Berliner Saison sein Beethoven-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern heraus.
Der Maestro legt zwar nach eigenen Worten nur eine Momentaufnahme seiner Beschäftigung mit Beethoven vor, doch Zeugnisse einer langjährigen und gereiften Auseinandersetzung mit diesem zentralen symphonischen Repertoire sind diese Ton- und Bildaufnahmen ganz ohne Frage. Es gibt alle neun Symphonien dabei gleich drei Mal: auf CD zum Hören, auf zwei Blu-rays zum Sehen und Hören – und auf einer weiteren Scheibe als Pure Audio Blu-ray. Hinzu kommen zwei Filme als Einführung in den Zyklus, darunter ein 50-minütiger Vortrag von Rattle, der überaus spannend, absolut essenziell und tiefgründig ist. Zu spüren ist neben der innigen Kenntnis der Werke nicht zuletzt des Dirigenten Begeisterung für diese und seine Ehrfurcht vor dieser Musik. Das hat ihn vielleicht zögern lassen bei der Aufnahme eines Berliner Beethoven-Symphonienzyklus.
Doch das Warten hat sich gelohnt. Wie bei allen vormaligen Zyklen der Berliner Philharmoniker – der erste unter Karajan von 1963 ist wahrscheinlich der meistverbreitete aller Zeiten – ist auch hier die Orchesterleistung phänomenal. Das gibt Rattle die ideale Gelegenheit zur Umsetzung seiner Vorstellungen. Der Dirigent, der Beethoven auch schon mit Kammerorchestern und Originalklangensembles erarbeitet hat, weiß um die Einsichten der historischen Aufführungspraxis. Sie schimmern bei ihm durch, sind aber nicht Dogma, sondern Material auf der Suche nach dem Wesentlichen dieser Werke. Dabei geht Rattle, wie er selbst sagt, einen direkten Weg zu Beethoven, fern eines sozusagen subjektiv geprägten Interpretations-Aktionismus. Genau diese Tugend gibt seinen Wiedergaben eine große Intensität und Sprachkraft.
Rattles Beethoven-Zyklus ist aber nicht nur in dieser Hinsicht universell. Er ist es auch im Blick auf die zeitliche Einordnung dieser Symphonien. Rattle macht deutlich, wo Beethoven auf Haydn, Mozart oder auch Alter Musik fußt. Er lässt aber auch – zum Beispiel im Trauermarsch der Eroica – spüren, wo diese Musik bis zu Mahler und noch weiter reicht.
Es gibt viele ganz singuläre Momente in diesem Zyklus. Einer sei stellvertretend genannt: der Einsatz des Freudenthemas im Finale der Neunten. Rattle und die Berliner deuten ihn im äußersten Pianissimo wie Musik aus einer anderen Sphäre, die von Ferne auf uns kommt: ein zutiefst bewegender Eindruck.
Rattles Berliner Beethoven-Zyklus schreibt in jedem Fall Interpretationsgeschichte.
Karl Georg Berg