Gustav Mahler
Symphonie Nr. 6
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Simon Rattle
Der Bayerische Rundfunk veröffentlicht in seinem Label gerade in hoher Schlagzahl Aufnahmen mit Dirigenten, die das hauseigene Symphonieorchester maßgeblich geprägt haben. Viele große Namen sind darunter, zum Beispiel Bernard Haitink, Herbert Blomstedt oder natürlich Mariss Jansons. Simon Rattle fügt sich gut in diese Liste ein. Doch halt: Der 69-Jährige steht ja für die Gegenwart und Zukunft des Orchesters. Nachdem der Brite 2018 seinen Posten als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker aufgegeben hatte („aus Altersgründen“), leitete er bis 2023 das London Symphony Orchestra und leitet seit der Spielzeit 2023/24 für vorerst fünf Jahre das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO).
Als Ergebnis einer Tournee Rattles mit dem BRSO im Herbst 2023 ist nun eine Einspielung der 6. Sinfonie von Gustav Mahler erschienen. Es ist nicht die erste Mahler-Kooperation – 2018 und 2021 hat Simon Rattle bereits die Neunte und das Lied von der Erde mit den Münchnern aufgenommen –, aber die erste als Chefdirigent. Als Leiter großer Orchester kam Rattle im Laufe seiner Karriere gar nicht darum herum, immer wieder auch die Sinfonien Gustav Mahlers aufzuführen und auf Tonträger zu verewigen. Bereits 1987 hat er, damals noch mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra, einen ganzen Zyklus eingespielt. Und später natürlich mehrere Sinfonien mit den Berliner Philharmonikern. Dennoch hat er sich dem Werk des großen Sinfonikers nicht wirklich exzessiv gewidmet.
Die sechste Sinfonie in a-Moll, bekannt als „Tragische“, entstand 1903 und 1904 – in einer für den Komponisten persönlich wie beruflich überaus glücklichen Zeit. Sie nimmt in ihrem Pendeln zwischen Glücksmomenten, Weltschmerz und Weltuntergang jedoch mehrere Katastrophen im Leben des Komponisten gewissermaßen vorweg – wenn man denn unbedingt einen biografischen Bezug herstellen möchte.
Simon Rattle und das BRSO gestalten die Sechste mit breitem Pinsel als dramatisches Panorama der Gefühle, die jedoch nie (wie etwa bei Leonard Bernstein) außer Kontrolle geraten. In aller Zerrissenheit, die dieses Werk bestimmt, wahrt Rattle die Einheit und bindet den Orchestersatz in all seinen Feinheiten, Kuriositäten und Extremen mit pastosem Mischklang ab. Anders formuliert: Mindestens auf der CD und besonders im ersten und letzten Satz ist der Klang des BRSO ausgesprochen mulmig, massiv und indirekt – was angesichts der herausragenden Qualität des Orchesters und der aufnahmetechnischen Möglichkeiten des Bayerischen Rundfunks schon arg verwundert. Der zweite Satz verträgt den romantischen Bogen besser, im dritten achtet Rattle mehr auf Transparenz und Feinheiten. Das Trio ist reizendes, rokokohaftes Welttheater, in dem es auch knarzen und pfeifen darf. Auch das gehört zu Mahler. Für eine große Aufnahme ist es aber zu wenig.
Johannes Killyen